Zum Hauptinhalt springen

Wir verhindern Entwicklung

Von Wolfgang Glass

Gastkommentare

Die derzeitige Weltwirtschaftsordnung hat Strukturen eines de facto grenzenlosen Wettbewerbs geschaffen. Allerdings wird dabei mit ungleich langen Messern gekämpft. Alternativen zu grenzenlosen Märkten und Konkurrenz gibt es leider nicht. Teilweise kommt es durch Fusion wieder zu Monopolen oder zu so wenig Konkurrenz, dass Preisabsprachen an der Tagesordnung stehen.

Eine Marktwirtschaft, die sozial und ökologisch strukturiert ist mit dem Ziel, sich in erster Linie auch lokal zu versorgen und auch Steuerabgaben zu leisten, sollte das Ziel sein. Für Letzteres wird zum Beispiel der ganze digitale Medienbereich ausgeklammert. Stattdessen halten wir uns oftmals mit Sonntagsreden über Plastiksackerl und pro/contra Autofahren auf, um das eigene Gewissen kurzfristig zu streicheln, während wir aber keinesfalls auf den Flug um 600 Euro tour/retour nach Thailand mit Fluglinien, die de facto pleite sind und deren CO2-Ausstoß ein Mehrfaches von jenem der durchschnittlichen Abgase eines Autos pro Jahr beträgt, verzichten wollen.

Exodus der Hoffnungsträger statt Ausbildung vor Ort

Auch die Einwegmigration vom armen Süden in Richtung Norden, oder von Ost nach West ist eine Folge des Wohlstandsgefälles einer verfehlten Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Solange die Armen nicht reicher werden, werden sie zu den Reichen kommen. Doch was passiert dann mit denen, die zurückbleiben? Ist das Entwicklungspolitik, was wir darunter verstehen, dass wir die Intelligentesten per "Card" zu uns holen, damit noch weniger Hoffnungsträger dort ihr Land vorantreiben können?

Ohne Softpower, aber eben auch Hardpower, wird die Europäische Union nichts mehr zu sagen haben in der Welt. Wir ziehen bei allem, was unangenehm scheint, den Schwanz ein und überlassen es lieber den USA, China oder Russland. Demokratie ist aber wie ein Haus mit einem stabilen Fundament, das aus einer funktionierenden Wirtschaft und einer guten Beschäftigungslage für die meisten besteht. Dazu benötigt man lokale Märkte, die gute Produkte schaffen, die von guten Institutionen kontrolliert und auch gefördert werden. Dadurch kann auch die Korruption zurückgedrängt werden, vorausgesetzt, diese Institutionen sind verlässlich.

Derzeit bilden wir uns ein, diverse Völkerwanderungen wären gut für die Entwicklung. Falsch. Sie sind teuer und sie schaden den Herkunftsländern. Die Ausbildung der Leute vor Ort ist um ein Vielfaches billiger, und gleichzeitig entwickelt sich dort auch noch ein Markt. Lokale Märkte werden vorbereitet in jenen Ländern, deren Regierungen auch daran interessiert sind. Diese Projekte müssen fokussiert sein. So entstehen mehr Arbeit für die Einheimischen und auch mehr Solidarität statt Mobilität, die teilweise die Emigranten sogar in den Tod treibt. Mit dem Resultat, dass bei uns oftmals nicht gerade jene ankommen, deren Kompetenz händeringend gesucht wird. Umgekehrt fehlen womöglich in ihrer Heimat willige und fähige Arbeitskräfte für den dortigen Markt - und auch Ausbildner für die nächste Generation.

Hierzulande aber leben sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse wahrscheinlich dauerhaft am Rande der Gesellschaft. Massive Exklusion der Neuankömmlinge ist die Folge. Es geht hier nicht um Menschen aus den angrenzenden Ländern, ohne die beispielsweise der Tourismus kaum zu bewirtschaften wäre. Es geht um Arbeitsmigration, unter dem Flucht-Deckmantel - damit klingt es für uns nämlich erträglicher, Massen durchzuwinken, und wir müssen uns nicht mit lästigen intensiven Projekten vor Ort befassen, die medial im Boulevard nicht locker zu vermarkten wären. Außenpolitik, die scheinbar nur Geld kostet und keine sofortigen vermarktbaren Erfolge bringt, war schon immer ein hartes Politikfeld.

Entwicklung wäre, sich dieser Länder vor Ort anzunehmen und beispielsweise nicht unsere überflüssigen Landwirtschaftsprodukte zu Dumpingpreisen auf deren Märkten abzuladen. Nur ein kleiner Bruchteil der Wertschöpfung fällt beim Produzenten an, so zum Beispiel bei der Textilindustrie in Bangladesch. Die sozialen Verhältnisse kümmern uns dann relativ wenig, solange bei uns der Preis der Modeartikel stimmt.

Miserable Bedingungen sind inzwischen gut dokumentiert

Und es kann heute niemand mehr behaupten, er oder sie hätte darüber nichts gewusst. Das Netz ist voll von wirklich guten Dokumentationen über die schlechten Arbeitsbedingungen, die keine Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte möglich machen. Es gibt keine Gewerkschaften, keine Herausbildung einer Mittelschicht, keine Auflösung von Klassenbildungen und Schulbildung ist eher die Ausnahme als die Regel. Es fehlt in solchen Ländern an anerkannten Institutionen und ausgeprägten Sozialversicherungen. Kurzum: Es fehlt an allem, was bei uns zu Entwicklung beigetragen hat.

Freilich sind wir mittlerweile so übersättigt, dass uns das eine oder andere auch schon wieder auf die Nerven geht. Doch ganz grundsätzlich berauben wir andere Länder ihrer Entwicklung. Wir bilden uns tatsächlich ein, dass Masseneinwanderung hilfreich sein. Wir glauben aber auch, dass wir mit der Produktion billiger Jeans zwar Arbeitsplätze vor Ort schaffen, aber wie diese Arbeitsplätze aussehen und was sie in zwei bis fünf Jahren dort bringen sollen, ist uns egal, denn das würde uns dann nämlich mehr kosten.

Es geht nicht darum, alles richtig zu machen - niemand kann das. Aber der Westen sollte selbstbewusster zu seinen Werten stehen. Die individuelle Freiheit, der Schutz vor staatlicher Willkür, der Wettstreit der Ideen, Rechtssicherheit und dergleichen mehr mögen manchmal vieles bremsen und auch Entwicklungen verlangsamen. Aber sie brechen sie nicht ab, sondern sie beflügeln sie oftmals, und in der Regel erweisen sie sich als großes Glück für die dort lebenden Menschen.

Für diese Werte einzustehen, lohnt sich allemal. Diese Werte machen die Softpower aus, eine Lebensqualität, nach der sich noch immer viele Gesellschaften weltweit sehnen. Sie sollten nicht durch kurzfristiges, egoistisches und oft mediengeiles Denken und Handeln enttäuscht werden.

Die Einwegmigration von Süd nach Nord beziehungsweise von Ost nach West ist teuer und schadet den Herkunftsländern.