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Marx und Mercedes

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Auslandschef der "Salzburger Nachrichten".

Xi Jinpings Macht in China gründet auch im Beifall des Volkes für die Verurteilung von 1,5 Millionen korrupten Beamten und Funktionären.


Chinas Nationaler Volkskongress hat am Wochenende Staatschef Xi Jinping einstimmig wiedergewählt. Seit voriger Woche kann er zudem unbegrenzt wiedergewählt werden. Damit hat Xi beispiellose Macht: KP-Chef, Staatspräsident, Chef der Streitkräfte sowie der neuen "Kontrollkommission", die alle Staatsdiener und Funktionäre überwacht und Verstöße ohne Mitwirkung der Justiz bestrafen kann. Im Oktober wurde außerdem sein "Marxismus im heutigen China" so wie schon vorher die "Gedanken Mao Zedongs" und Deng Xiaopings Reformideen in die Verfassung aufgenommen. Wer nun Xi kritisiert, riskiert eine Anklage wegen Verfassungsbruchs.
Im Volk ist Xi höchst populär. Beim Amtsantritt als Staatspräsident 2013 erklärte er unverblümt, Korruption grassiere in KP und Staat derart, dass beider Machtanspruch gefährdet sei. Seine Kampagne gegen Korruption hat bisher 1,5 Millionen Beamte und Parteifunktionäre bestraft. So gewann er den Beifall des einfachen Volks, das sich gegen die Bürokratie auf allen Ebenen nicht wehren kann. Die Antikorruptionsbehörde ist nur Xi verantwortlich und arbeitet unabhängig von Partei und Justiz.
Xi und die KP halten sich an Maos berühmte Anweisung: "Die Wahrheit in den Tatsachen suchen." Vor 50 Jahren führten harte Tatsachen zum Konflikt zwischen Moskau und Peking. Mao gewann 1949 die Macht in China, folgte dem für jede KP verpflichtenden sowjetischen Vorbild und beschwor mit dem "großen Sprung nach vorne" eine verheerende Hungersnot herauf. Also sprach Mao der sowjetischen KP die führende Rolle in der kommunistischen Weltbewegung ab und schlug "gemäß den konkreten Bedingungen den eigenen Weg" zum Sozialismus ein, den Deng mit einem berühmten Satz markierte: "Schwarze oder weiße Katze - egal, Hauptsache sie fängt Mäuse."
Die Rückkehr zum privaten "kapitalistischen" Gewinnstreben sollte die KP-Herrschaft über die Wirtschaft brechen und dem Volkswohl dienen. Also wurde die Wirtschaft ab 1978 binnen zwei Jahrzehnten privatisiert - ausgenommen etwa Energie, Verkehrsstruktur und Gesundheitswesen. Das kollektivierte Bauernland übernahmen die Kommunen und teilten es den Bauern langfristig zu. Der "kapitalistische Sozialismus" zeitigte verblüffende Ergebnisse: China ist heute nach den USA die zweitstärkste Wirtschaftsmacht. Die Landwirtschaft versorgt Märkte und produziert Überschüsse für den Export. In China gibt es 629 Milliardäre (USA: 552) und 1,6 Millionen Millionäre. Xis Reformen holten 700 Millionen Menschen aus bitterer Armut, die restlichen 70 Millionen will er bis 2020 von Armut befreien.
Die UNO würdigte diese Entwicklung als außerordentliche Leistung, wiewohl sie ein ernstes soziales Problem aufwarf: Ein Prozent der Chinesen besitzt ein Drittel des gesellschaftlichen Vermögens, aber ein Viertel muss sich mit einem Prozent begnügen. Denn China fehlt noch eine starke Mittelschicht.
Immerhin: Kapitalismus blüht auch unter einem kommunistischen Regime, das den "Mäusefängern" freie Jagd gewährt, solange sie keinen demokratischen Rechtsstaat fordern und die Politik der KP nicht stören. Marx und Mercedes können also koexistieren.