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70 Jahre Vertreibung, Unterdrückung und Besatzung

Von Salah Abdel Shafi

Gastkommentare
Salah Abdel Shafi, geboren 1962 in Gaza, ist seit 2013 palästinensischer Botschafter in Österreich, seit 2014 in Slowenien sowie ständiger Vertreter bei den internationalen Organisationen in Wien.

Der Jahrestag der Staatsgründung Israels ist für das palästinensische Volk kein Anlass zum Feiern.


Als am 14. Mai 1948 die Gründung des Staates Israel verkündet wurde, ging für viele zionistische Juden ein Traum in Erfüllung. Für ebenso viele Palästinenser begann an diesem Tag die "Nakba", die Katastrophe, in deren Folge sie ihre Heimat verloren. Der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels ist für das palästinensische Volk daher kein Anlass zum Feiern. Vielmehr bedeutet dieser Tag für das palästinensische Volk 70 Jahre Vertreibung, 70 Jahre ethnische Säuberung, 70 Jahre Unterdrückung und 70 Jahre Besatzung.

Die palästinensische Führung hat sich bereits vor Jahrzehnten zu einem historischen Kompromiss bereit erklärt, indem sie sich - im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung - mit einem Staat Palästina auf 22 Prozent des ursprünglichen Territoriums zufriedengegeben hat. Diese 22 Prozent entsprechen weniger als der Hälfte von jenem Gebiet, das der UN-Teilungsplan 1947 für den Staat Palästina vorgesehen hatte. Diese Lösung wird auch von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert und - wenn auch nicht konsequent, so doch auf dem Papier - unterstützt.

Anstatt diesen historischen Kompromiss anzuerkennen, beharrt der israelische Staat jedoch weiterhin auf einer Politik der Unterdrückung des palästinensischen Volkes und Kolonialisierung von palästinensischem Land und Boden. Völkerrechtswidrige israelische Siedlungen werden im Westjordanland und in Ost-Jerusalem weiter expandiert, und Gaza und seine Bevölkerung befinden sich in einer vollkommenen Land-, See- und Luftabriegelung. Dies lässt die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung in immer weitere Ferne rücken.

Die uneingeschränkte Unterstützung Israels durch die Administration von US-Präsident Donald Trump, einschließlich des Beschlusses, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, widerspricht nicht nur dem Völkerrecht und UN-Resolutionen, sondern trägt auch erheblich zur Arroganz der israelischen Politik sowie zum endgültigen Scheitern der Zwei-Staaten-Lösung bei.

Der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels sollte für die internationale Staatengemeinschaft kein Anlass zum Gratulieren sein. Vielmehr muss Israel endlich nicht mehr als jener Staat behandelt werden, der über dem Völkerrecht steht. Die palästinensische Bevölkerung hat auch nach 70 Jahren die Hoffnung nicht aufgegeben, ein Ende der israelischen Besatzung und einen gerechten Frieden zu erleben. Ihr Streben nach Freiheit erfolgt, wie auch die aktuellen Demonstrationen an der Grenze zu Gaza zeigen, mit friedlichen und kreativen Mitteln des Widerstands, die mit unverhältnismäßiger Gewalt von Seiten des israelischen Militärs beantwortet werden. Die Weltöffentlichkeit jedoch schweigt angesichts von 30 palästinensischen Todesopfern und 3000 Verletzten.

Es ist - für beide Völker - mehr als an der Zeit, dass die Vision eines gerechten Friedens endlich Realität wird. Das Zeitfenster einer möglichen Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt Palästinas verkleinert sich jedoch - buchstäblich - von Tag zu Tag.