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Gerechter Krieg?

Von Heinz Fischer

Gastkommentare

Wenn eine humanitäre Intervention ohne vorherige Prüfung der Vorwürfe erfolgt, ist das ein Rückschritt auf dem Weg vom nationalen Rechtsstaat zum internationalen Rechtsstaat.


Wien. Krieg und Gewalt gibt es wahrscheinlich seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte, als konsequenter Ausdruck des sogenannten "Rechtes des Stärkeren".

Nicht viel jünger sind wohl die Versuche, Kriege (und Gewalt) zu vermeiden beziehungsweise wenigstens bestimmten Regeln zu unterwerfen: Frauen und Kinder sollten geschont, Gefangene nicht getötet werden und dem Krieg sollte ein Friedensschluss folgen.

Eine der ersten dokumentierten Schlachten der Weltgeschichte war die berühmte Schlacht bei Megiddo, vor etwa 3500 Jahren, wo ein ägyptisches Heer und der Pharao Thut Mosis III. gegen syrische Truppen kämpften.

Sehr genaue Informationen über die Kriegsführung vor mehr als 3000 Jahren sind in der Ilias des Homer enthalten und die widersprüchliche Dialektik zwischen Krieg und Friede war schon in der griechischen Antike sichtbar, wenn der Friede durch die Friedensgöttin (Eirene) symbolisiert wird und gleichzeitig der Krieg als Vater aller Dinge apostrophiert wurde.

Erst viel später, nach Beginn der Neuzeit und insbesondere angestoßen durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) begann man sich ernsthaft und systematisch mit einer Verrechtlichung des Krieges zu beschäftigen.

Noch während der Dreißigjährige Krieg tobte, fasste Hugo Grotius Regeln des Krieges und des Friedens in seinem Werk "de iure belli ac pacis" (1625) zusammen. Der Westfälische Friede von 1648, der Friede von Utrecht (1713), die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815, die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 oder die ganz besonders wichtige Charta der Vereinten Nationen von 1945 (als eine der Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg) sind weitere Meilensteine beim Aufbau eines internationalen, völkerrechtlichen Normensystems, mit dem Ziel, auch für den Krieg ein Regelwerk zu schaffen oder die Gewalt zwischen Staaten zu bannen.

Enorme Gedankenarbeit und blutige Erfahrungen stecken in den einschlägigen Texten und Konventionen.

Kriege sind zu globalen Bedrohungen geworden

Die Zahl der Kriege ist in jüngster Zeit geringer geworden, aber dafür sind die einzelnen Kriege um ein Vielfaches blutiger geworden. Eine einzige Atombombe in Hiroshima hat augenblicklich 90.000 Menschenleben ausgelöscht und weitere 120.000 sind an den Spätfolgen gestorben.

Krieg ist auch längst nicht mehr "nur" eine Angelegenheit zwischen zwei oder mehreren Staaten, sondern im Zeitalter der Globalisierung ist Krieg rasch ein globales Thema, das den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen beschäftigt.

Kein Wunder, dass die Friedensbewegung seit Beginn des 20. Jahrhunderts (siehe zum Beispiel Bertha von Suttner) immer stärker und wichtiger wurde. Aber der Friede hat im Vergleich zum Krieg immer noch die schwächeren Bataillone. Und zwar nicht nur deshalb, weil am Krieg viel verdient werden kann und weil der Krieg nach wie vor als Instrument betrachtet wird, um Macht und Einfluss zu vergrößern, sondern vor allem auch deshalb, weil der Grundsatz, wonach der Zweck die Mittel heiligt, auf diesem Gebiet noch immer mehr Gewicht hat, als die Friedensmechanismen und Friedensgebote.

Krieg ist keinInstrument der Politik

In der Charta der Vereinten Nationen ist der Krieg als Instrument der Politik verboten. Alle Staaten der Welt (von wenigen Ausnahmen abgesehen) sind Mitglieder der Vereinten Nationen, haben die Charta der Vereinten Nationen zu respektieren und diese Charta soll den Vereinten Nationen im internationalen Bereich ein Gewaltmonopol garantieren (so, wie im Nationalstaat das Gewaltmonopol der Polizei normiert ist). Aber wenn ein Staat das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen verletzt - was immer wieder vorkommt -, dann hilft letztlich nur Gewalt gegen den Bruch des Gewaltverbotes und somit ist ein verhängnisvoller Kreislauf in Gang gesetzt.

Dazu kommt, dass es zum Gewaltmonopol der Vereinten Nationen Ausnahmen gibt. Insbesondere das (notwendige) Recht auf Selbstverteidigung im Falle eines gewaltsamen Angriffs und die sogenannte "humanitäre Intervention". In beiden Fällen gibt es aber fast immer faktische und in weiterer Folge auch rechtliche Meinungsverschiedenheiten. Wer war/ist wirklich der Angreifer und wer der Verteidiger?

Intervention zumSchutz der Opfer

Dazu kommt die sogenannte "humanitäre Intervention" als weiteres Element des Völkerrechts, die ebenfalls als eine Ausnahme zum Gewaltverbot konstruiert ist. Der Grundgedanke der "Humanitären Intervention" besteht darin, dass die Staatengemeinschaft oder einzelne Mitglieder der Staatengemeinschaft nicht verpflichtet sind, tatenlos zuzusehen, wenn in einem Staat schwere Menschrechtsverletzungen stattfinden, die so gravierend sind, dass es nicht die Pflicht der internationalen Gemeinschaft sein kann, tatenlos zuzusehen, sondern dass in einem solchen Fall eine Intervention zum Schutz der Opfer eines gewalttätigen Regimes möglich ist.

Freilich wäre die humanitäre Intervention an eine Zustimmung des Sicherheitsrates nach entsprechender Diskussion und Anhörung der verschiedenen Standpunkte gebunden. Da aber schon ein einziges der sogenannten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates eine Beschlussfassung verhindern kann, entsteht die Frage, ob auf die humanitäre Intervention bei Vorliegen eines Vetos verzichtet werden muss, oder ob der Schutz der bedrohten Menschen und Bevölkerungsgruppen vor Gewalttaten schwerer wiegt als die Charta der Vereinten Nationen mit den Spielregeln im Sicherheitsrat.

Es gibt immer wieder Fälle, in denen sich einzelne Staaten der Völkergemeinschaft oder eine Gruppe von Staaten berechtigt und sogar verpflichtet fühlt, eine humanitäre Intervention ohne satzungsgemäße Zustimmung im Sicherheitsrat durchzuführen (in aller Kürze: Der gute Zweck heiligt die Nichtbefolgung der Satzung der Vereinten Nationen), und es ist wirklich eine ganz schwierige Frage, für die es offenbar keine allgemeine und perfekte Antwort gibt, ob ein Fall vorliegt, bei dem sich ein Land über internationales Recht hinwegsetzen darf, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder zu beenden.

Was aber in letzter Zeit noch hinzukommt, ist die Tatsache, dass man sich über das Gewaltverbot sogar hinwegsetzt, wenn ein Beweis über gravierende Menschenrechtsverletzungen, wie zum Beispiel die Missachtung des Verbots des Einsatzes von Giftgas, noch gar nicht endgültig vorliegt.

Gefälschte Beweisefür Kriegshandlung

Ein Tabubruch war meines Erachtens die Entscheidung der USA aus dem Jahr 2003, im Irak militärisch zu intervenieren und den Sturz des Diktators Saddam Hussein militärisch zu erzwingen, weil man behauptete, Beweise für die Existenz von Massenvernichtungsmitteln zu haben. Mit großem Pathos wurden diese "Beweise" vom damaligen amerikanischen Außenminister im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorgelegt, Saddam Hussein wurde gestürzt und getötet, jahrelang Krieg geführt und erst dann erfolgte das Eingeständnis, dass die "Beweise" keine Beweise waren und die Weltöffentlichkeit getäuscht wurde.

Das ist natürlich Gift für das Vertrauen in internationales Recht. Ein Schatten dieser Aktion liegt auch derzeit über der Behauptung, dass es im Krieg in Syrien einen Giftgasangriff gegeben hat (was zu den schwersten aller denkbaren Völkerrechtsverletzungen zählt), der vom Assad-Regime durchgeführt wurde.

Schon zu einem Zeitpunkt, an dem die Ergebnisse entsprechender Untersuchungen durch Experten noch nicht vorgelegen sind, nämlich in der Nacht auf den 14. April 2018, wurde aber ohne Beschluss des Sicherheitsrates ein zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich koordinierter militärischer Angriff mit mehr als 100 Raketen auf militärische Ziele in Syrien gestartet.

Das Dilemma, ob man schwere Menschenrechtsverletzungen, die zweifelsfrei bewiesen sind, durch militärische Aktionen von Drittstaaten ohne Beschluss des Sicherheitsrates ahnden oder unterbinden darf, ist schwierig genug.

Dass man aber militärische Aktionen startet, bevor ein eingeleitetes Untersuchungsverfahren die Art des behaupteten Deliktes und den Verursacher des Deliktes einwandfrei festgestellt hat, ist meines Erachtens selbst dann, wenn es von redlichen Motiven getragen ist, ein gefährlicher Rückschritt auf dem Weg vom nationalen Rechtsstaat zum internationalen Rechtsstaat.

Ich kenne die gewichtigen Gegenargumente gegen diesen Standpunkt, aber ich halte sie letzten Endes nicht für überzeugend. Mit dem Begriff des "gerechten Krieges" wird man hier jedenfalls nicht das Auslangen finden. Daher befinde ich mich in dieser Causa in größerer Nähe zu der Haltung von Angela Merkel, die sich an den militärischen Aktionen nicht beteiligt hat, als zur Haltung von Donald Trump.

Zum Autor

Heinz Fischer
wurde 1938 in Graz geboren. Von 2004 bis 2016 war er österreichischer Bundespräsident. Davor war er ab 1971 Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat (ab 1975 Klubobmann), von 1983 bis 1987 Wissenschaftsminister und von 1990 bis 2004 zunächst Erster und dann Zweiter Nationalratspräsident. Sein nächster Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" erscheint am 18. Mai 2018.

apa/Fohringer