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"Sag Schibbolet!"

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Über Grenzen, die wir alle im Mund tragen.


Das Jüdische Museum in Vorarlberg, in dem wunderschönen Ort Hohenems gelegen, macht seine geografische Lage - aus Wiener Perspektive könnte man sagen: seine Abgelegenheit - immer wieder durch hervorragende Ausstellungen wett. Zurzeit läuft gerade wieder so eine Ausstellung, deren Konzept und Thema weit über das kleine Hohenems hinausstrahlt: "Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen".

Der Begriff "Schibbolet" geht auf eine biblische Geschichte zurück: Gilead besetzte die nach Efraim führenden Übergänge des Jordans. Und wenn ein efraimitischer Flüchtling kam und sagte: Ich will hinüber!, forderten ihn die Männer aus Gilead auf: Sag Schibbolet! Sagte er dann "Sibbolet", weil er das "Sch" nicht aussprechen konnte, dann entlarvte ihn das als Feind und er wurde hingerichtet.

Dieser Geschichte folgend wurde "Schibbolet" zum Wort, um Fremde kenntlich zu machen, zum Begriff an dem Differenzen festgemacht, durch den verschiedene Gruppen identifiziert werden. "Schibbolet" ist also ein Code, um Freund und Feind zu unterscheiden.

Mitten in einer weltumgreifenden Produktion, Kommunikation und Bewegung - mitten in dieser Globalisierung werden Grenzen wieder zu einem Thema, werden Grenzen wieder akut. Eine äußerst paradoxe Situation. Die Hohenemser Ausstellung macht nun deutlich, dass Grenzen viele Formen haben, dass sie auf vielerlei Arten gezogen werden können. Und die Sprache hat dabei eine besondere Funktion.

Sprache verbindet uns mit anderen, aber sie kann eben auch leicht zu einer Abgrenzung werden - zu einer Grenze wie etwa ein Fluss. Sie ist Kommunikationsmittel, aber auch Mittel der Kontrolle, der Diskriminierung, des Ausschlusses.

Die Vorstellung, Sprache sei eine Heimat, ein portatives Vaterland - der Trost vieler Migranten -, erweist sich hier als Trugschluss, als trügerische Hoffnung. Denn am Schibbolet zeigt sich die enge Beziehung von Sprache, Territorium und Macht. Die gemeinsame Sprache, insbesondere der Dialekt, trägt zwar dazu bei, Heimat zu erzeugen - aber durch Verbindung und durch Ausschluss. In Krisenzeiten wird Sprache zu einer "unsichtbaren Grenze, die wir in unser aller Munde tragen", wie es im Ausstellungskatalog heißt. Sie nagelt die Menschen auf ihre ethnische oder soziale Herkunft fest. Sag Schibbolet - und wir werden Dich erkennen!

Eine weitere Lektion der biblischen Geschichte ist: Beide Seiten wissen, dass Schibbolet "Wasserlauf" bedeutet. Aber das genügt nicht. Es reicht nicht, die Bedeutung des Wortes zu kennen. Denn Sprache ist auch Sprechen. Und da gibt es eine "richtige" und eine "falsche" Aussprache. Diese ist tief einsozialisiert und lässt sich nachträglich kaum mehr erlernen.

Wenn wir Sprache zu einem Schibbolet machen, dann heißt das: Dazugehören braucht mehr als erlernbare Inhalte, als erlernbares Verstehen. Wenn die Gesellschaft sich durch ein Schibbolet organisiert, dann helfen keine Wertekurse und keine Deutschklassen. Wenn wir ein Schibbolet zum Grenzwächter machen, der die Heimat bewacht, dann muss jede Integration von Fremden scheitern. Das ist die biblische Lektion. (Dies ist Teil 1 einer kleinen Kolumnenreihe zum Thema "Heimat".)