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Syrien, quo vadis?

Von Markus Schauta

Gastkommentare

Der Krieg in Syrien ist noch nicht beendet. Aber das Regime von Bashar al-Assad befindet sich auf der Siegerstraße. In erster Linie dank der massiven Unterstützung seiner Verbündeten: Russland, Iran, Hisbollah und China. Ihnen alleine den Wiederaufbau Syriens zu überlassen, wäre fatal.

Mehr als vier Milliarden US-Dollar an Krediten hat der Iran nach Syrien gepumpt. Zehntausende Milizionäre unter dem Kommando der Iranischen Revolutionsgarden kämpfen auf syrischem Boden für Assad. Auch die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah trug mit mehreren tausend Mann entscheidend dazu bei, den militärischen Zusammenbruch des syrischen Regimes zu verhindern. Russlands Luftwaffe hat den größeren Teil der ehemaligen Rebellenhochburgen in Schutt und Asche gebombt. Gemeinsam mit China hat es wiederholt sein Veto gegen UN-Resolutionen eingelegt, um Sanktionen gegen das syrische Regime zu blockieren. Parallel zur Unterstützung auf diplomatischer Ebene liefert China Waffen und Reis nach Damaskus, ebenso wie Militärberater und eine begrenzte Zahl an Soldaten.

Sie alle haben ihre Gründe, das syrische Regime zu unterstützen. Da ist der Marinestützpunkt in Tartus, Russlands einzige maritime Basis im Mittelmeer. Da geht es um die Sicherung von Einflussbereichen in Nahost, auch in Konkurrenz zu den USA, der Iran wiederum steht in Konkurrenz zu Saudi-Arabien. Und es gibt das Gespenst des Dschihadismus, das sich in Syrien auf Dauer festsetzen könnte. Zumindest anfangs finanziert durch die Golfstaaten, konnte es die "moderaten" Rebellen verdrängen und Syrien zu einem internationalen Hub für Dschihadisten und Islamisten machen.

Chinas wichtige Rolle beim geplanten Wiederaufbau

5000 chinesische Uiguren sollen an der Seite der islamistischen Opposition in Syrien kämpfen. Russland erlebt ähnliche Entwicklungen eines transnationalen islamistischen Terrorismus in der Kaukasusregion. Eine dauerhafte Präsenz islamistischer Milizen in Syrien, die auf lokale Gruppen in Russland und China ausstrahlt, kann für die beiden keine Option sein. Freilich ist das Entstehen dieser lokalen Gruppen vielfach ein hausgemachtes Problem. China mit seiner Uiguren-Politik ist dafür ein trauriges Beispiel.

Mit dem seit Anfang 2017 absehbaren militärischen Sieg des syrischen Regimes treten zusehends andere Interessen in den Vordergrund. Immer öfter wird vom Wiederaufbau gesprochen, konkrete Pläne diesbezüglich werden bereits kommuniziert. Laut Weltbank soll der Wiederaufbau des Landes mindestens 200 Milliarden US-Dollar kosten. Ohne Investoren geht gar nichts. Und denen muss Assad etwas bieten. Also müssen im hoch verschuldeten und vom Krieg verwüsteten Land die Karten neu gemischt und verteilt werden. Privatisierung von Staatsbesitz zugunsten derjenigen, die ihm lokal und regional die Treue hielten, ist die eine Strategie. Verstaatlichung von Privatbesitz die andere. Mit am Pokertisch sitzen jene, die Assad über die Jahre die Treue gehalten haben.

China erhält Aufträge für diverse Bauprojekte; Straßen, Brücken, Flughäfen und ein Industriepark, in dem irgendwann 150 chinesische Firmen angesiedelt werden sollen. Und weil China auf "Think Big" setzt, will es auch gleich in den Ausbau des Hafens im libanesischen Tripoli investieren. Im Zuge des Neubaues von Syrien sollen von der Hafenstadt 30 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr über die nur 80 Kilometer entfernte Grenze nach Syrien geschafft werden.

Russen kontrollieren Öl und Gas, Iraner Mobilfunk

Die russische Lukoil und Gazprom sollen die im Krieg zerstörte Infrastruktur für Öl- und Gasgewinnung wieder aufbauen. Weniger, um die Rohstoffe auszubeuten, sondern um Syrien als potenziellen Transit-Hub für Öl- und Gaslieferungen nach Europa zu kontrollieren.

Der größte iranische Mobilfunkanbieter MCI wiederum bekam eine von drei Mobilfunklizenzen für das syrische Netz zugesprochen. Weiters fällt dem Verbündeten beim Wiederaufbau der syrischen Stromversorgung eine Schlüsselrolle zu, und der Iran erhält Konzessionen für rund 5000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen. Ein wenig beachtetes Faktum, aber ein Hinweis auf ein dringendes Problem, von dem die Region vom Iran über den Irak und Syrien bis nach Jordanien seit Jahren betroffen ist: eine andauernde Dürre und damit einhergehende Verödung von Ackerland. Landwirtschaftlich nutzbare Flächen gewinnen an Bedeutung und werden so zur wertvollen Verhandlungsmasse.

Parallel zur Privatisierung setzt das syrische Regime auf Verstaatlichung in Form von Enteignungen. Anfang April wurde daher das "Gesetz Nummer 10" verabschiedet. Es sieht vor, dass Syrer Grundstücke und Häuser im Privatbesitz unter Vorlage entsprechender Dokumente innerhalb von zwei Monaten registrieren lassen müssen. Nicht registrierte Immobilien fallen nach dieser Frist an den Staat. Ein potenzielles Problem für die 5,5 Millionen ins Ausland Geflohenen, aber auch für die 6,5 Millionen, die aus ihren Dörfern und Städten in andere Regionen Syriens geflüchtet sind.

Beschlagnahmte Immobilien als Instrument für das Regime

Die Vorteile für das Regime liegen auf der Hand. Zum einen kann es die beschlagnahmten Immobilien verkaufen und so dringend notwendige Einnahmen generieren. Zum anderen kann es durch die Weitergabe der Immobilien jene belohnen, die ihm die Treue gehalten haben. Dazu gehört neben den zuvor genannten Regionalmächten auch ein syrisches Netzwerk an Geschäftsleuten, Militärs und Milizführern. Beobachter sprechen in diesem Zusammenhang auch von "Demographic Engineering": Bevölkerungsverschiebungen anhand konfessioneller oder politischer Gesichtspunkte, zugunsten des Assad-Regimes. So gibt es etwa für Homs konkrete Pläne, die Stadt architektonisch neu zu gestalten. Betroffen sind davon mehrheitlich sunnitische Stadtviertel, einst Hochburgen der Opposition, die heute dem Erdboden gleichgemacht und entvölkert sind. Eine Rückkehr der Geflohenen wird durch den Neubau und die Ansiedlung regimetreuer Bevölkerung verhindert.

Wenn Russland, die USA, der Iran, die Hisbollah, die Türkei, die Kurden und alle anderen Beteiligten ihr Reden vom Kampf gegen den Dschihadismus ernst nehmen, dann ist es an der Zeit, abseits der Schlachtfelder Ansätze für einen dauerhaften Frieden zu finden. Assad ist auf der Siegerstraße. Militärisch kann er nicht mehr bezwungen werden. Aber das Regime und seine bisherigen Unterstützer alleine werden das zerstörte Land nicht aufbauen können. Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Union sich über die ökonomische Karte bei einer Neugestaltung Syriens einbringt. Eine Pax Assad, so wie sie sich jetzt abzeichnet, birgt jedenfalls wenig Aussicht auf dauerhaften Frieden.

Mit dem seit Anfang 2017 absehbaren militärischen Sieg des Assad-Regimes treten zusehends andere Interessen in den Vordergrund.