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Mythos EU-Präsidentschaft

Von Stefan Brocza

Gastkommentare

Österreich übernimmt am 1. Juli 2018 zum bereits dritten Mal - nach 1998 und 2006 - für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat). Erstmals nach Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 sitzt Österreich zwar wieder im "Chefsessel" Europas, die mit Lissabon verbundenen grundlegend geänderten Rahmenbedingungen haben sich jedoch noch nicht bei allen Beteiligten wirklich herumgesprochen. Lauscht man so mancher Ankündigung aus Politikermund, was man denn nun alles in diesen sechs Monaten vorhabe und machen werde, gewinnt man rasch den Eindruck, dass hier oftmals die nötigen EU-Hausaufgaben nicht gemacht wurden.

Aber selbst bei politischen Beobachtern und Kommentatoren schleicht sich immer wieder eine Art Präsidentschaftsmanie ein. Dabei wäre es gut, den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und die Erwartungen an die kommende EU-Ratspräsidentschaft gehörig herunterzuschrauben.

Der Kongress tanzt in Brüssel

War es bei den früheren Ratspräsidentschaften tatsächlich immer wieder möglich, durch prestigeträchtige Drittstaatstreffen das eigene politische Ego aufzuwerten und die allseits begehrten Fotos mit den großen und wichtigen Staatsmännern dieser Welt zu erheischen, so ist eine heutige Präsidentschaft eher durch unauffälliges und teils auch undankbares Zuarbeiten dominiert. Konnte man sich 1998 etwa noch als amtierende Ratspräsidentschaft mit Jassir Arafat ablichten lassen oder zum Europäischen Rat nach Wien laden und ein Gefühl von "Der Kongress tanzt" inszenieren, so fällt das 2018 alles ins Wasser.

Die EU-Gipfel finden in Brüssel statt, und den Vorsitz im Europäischen Rat hat ein - eben mit dem Vertrag von Lissabon geschaffener - Präsident des Europäischen Rates inne. Während der österreichischen Ratspräsidentschaft wird also Donald Tusk zu den Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs einladen, diesen vorsitzen und auch deren Schlussergebnis der Medienöffentlichkeit verkünden. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz kann sich allenfalls von seinem Amtsvorgänger Wolfgang Schüssel erzählen lassen, wie toll es damals (im Jahr 2006) noch war, im Europäischen Rat der "Chef" zu sein.

Aber auch die legendären Drittstaatstreffen finden seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages nicht mehr im jeweiligen EU-Vorsitzland statt, sondern ausschließlich in Brüssel. Und Vorsitz führt dabei - wie auch bei allen monatlichen Treffen der EU-Außenminister - die Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Vom 1. Juli bis zum Jahresende wird also Federica Mogherini und nicht Außenministerin Karin Kneissl im Rampenlicht der Außenpolitik stehen. Konnte man 2006 etwa noch US-Präsident George W. Bush in Wien begrüßen oder das vierte Gipfeltreffen aller EU-Staats- und Regierungschefs mit 33 Amtskollegen aus Lateinamerika und dem karibischen Raum zelebrieren, so muss diese Art von Volksbelustigung heuer entfallen. Denn auch hier gilt: Die Treffen finden ausnahmslos in kleinerem Rahmen und unter Vorsitz der EU-Außenbeauftragten in Brüssel statt.

Programm bestimmen andere

Vom 1998 und 2006 noch vorherrschenden Gefühl, die Welt sei in Österreich zu Gast, bleiben 2018 ein paar farblose informellen Arbeitstreffen der jeweiligen EU-Fachminister in Österreich. Die Pseudo-Wichtigkeit, die diesen Treffen im Vorfeld aktuell beigemessen wird, ist in Wahrheit nichts anders als der eher hilflose Versuch, einem Non-Event Bedeutungsschwere zuzuschreiben.

Seit dem Vertrag von Lissabon erstellen Gruppen von je drei Mitgliedsländern ("Trioratspräsidentschaft") ein gemeinsames Arbeitsprogramm für jeweils 18 Monate. Diese Koordinierung über einen längeren Zeitraum soll die Kontinuität der Arbeit des Rates erhöhen und ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrungen mit eher willkürlich aneinandergereihten Sechs-Monats-Arbeitsprogrammen. Österreich bildet gemeinsam mit Estland (Vorsitz im zweiten Halbjahr 2017) und Bulgarien (Vorsitz im ersten Halbjahr 2018) eine Trioratspräsidentschaft. Ihr gemeinsames Programm, das bereits am 20. Juni 2017 durch den EU-Ministerrat angenommen wurde, basiert zudem auf der "Strategischen Agenda für die Union in Zeiten des Wandels" des Europäischen Rates vom Juni 2014.

Darüber hinaus müssen auch noch das Jahresarbeitsprogramm der EU-Kommission und die Gemeinsame Erklärung der EU-Institutionen, die im Dezember 2017 verabschiedet wurde und die legislativen Prioritäten bis zu den EU-Wahlen 2019 festlegt, berücksichtigt und abgearbeitet werden. Für inhaltliche Eigenständigkeit ist da verständlicherweise nicht mehr viel Platz.

Österreich wird es nicht vergönnt sein, seine politischen Steckenpferde zu reiten. Vielmehr geht es um eine möglichst geräuschlose Abarbeitung einer Art To-do-Liste, die längst vorliegt und Abweichungen nicht zulässt. Dazu kommt, dass bereits im Juni - also noch vor Antritt Österreichs - schon die nächste Trioratspräsidentschaft (Rumänien, Finnland und Kroatien) ihr Arbeitsprogramm fixiert. Die als Reformpartnerschaft neuen Zuschnitts angetretene Bundesregierung muss also während ihrer EU-Ratspräsidentschaft 2018 das noch von der Vorgängerregierung fixierte Arbeitsprogramm abarbeiten und dazu noch das Feld für den unmittelbaren Nachfolger Rumänien bestellen.

Mühsam und unspektakulär

In einer Art Stellenbeschreibung wird dem jeweiligen EU-Ratsvorsitzland die Rolle eines "ehrlichen und neutralen Vermittlers" zugeschrieben. Wesentliche und zentrale Aufgabe ist die Planung und Leitung der Tagungen des EU-Rates und seiner Vorbereitungsgremien. Das heißt: Österreich leitet die Tagungen der verschiedenen Ministerratsformationen (mit Ausnahme des Rates "Auswärtige Angelegenheiten") und der Vorbereitungsgremien des Rates. Bei Letzteren handelt es sich um mehr als 150 hochspezialisierte Arbeitsgruppen und Ausschüsse. Bei den meisten wird den Vorsitz am 1. Juli ein österreichischer Beamter übernehmen.

Die Last verteilt sich dabei jedoch sehr ungleich auf die heimischen Ministerien, denn etwa bei den zahlreichen Ratsarbeitsgruppen im Bereich Außenpolitik führen längst Mitarbeiter des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) permanent den Vorsitz. Im Gegensatz zu den Mitarbeitern des Landwirtschafts- oder auch des Innenministeriums werden sich daher die Beamten des österreichischen Außenministeriums keinem besonderen Stress ausgesetzt sehen. Für sie - wie auch für ihre Ressortchefin - ändert sich eigentlich nicht viel während des kommenden halben Jahres.

Eine besondere Herausforderung - weil arbeitsreich und total prestigelos - ist die Vertretung gegenüber den anderen EU-Organen, insbesondere EU-Kommission und EU-Parlament. Hinter verschlossenen Türen und streng vertraulich werden dabei im sogenannten Trilog EU-Gesetze von einer Handvoll Vertretern von Parlament, Rat und Kommission ausgehandelt. Das bedeutet Knochenarbeit und wenig Ruhm.

Ein Erfolg wird die EU-Ratspräsidentschaft dann, wenn sie möglichst ohne Aufsehen und Probleme über die Bühne geht. Regierungsmitglieder, die heute vielleicht noch glauben, es tue sich hier die Möglichkeit zur Profilierung auf, werden rasch enttäuscht werden. Niemand wird sich im kommenden Halbjahr mit außergewöhnlichen Heldentaten in die europäische Integrationsgeschichte einschreiben können. Zu gewinnen gibt es allenfalls einen Blumentopf.

Die mit dem österreichischen EU-Ratsvorsitz ab 1. Juli verbunden Erwartungen sind hoch, die politischen Ankündigungen zahlreich. Enttäuschungen werden sich nicht vermeiden lassen.