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Und wenn die Priester aussterben?

Von Stefan Kiechle SJ

Gastkommentare

Die katholische Kirche braucht mehr Mut, um ihre Zukunft positiv gestalten.


Dramatisch ist der Rückgang der Priester. Ich stamme aus Deutschland, dem südlichen Schwarzwald. Dort wurden sechs Gemeinden, darunter die wichtigsten Touristenorte, zu einer "Seelsorgeeinheit" fusioniert: Die Kirchen sind ganz gut besucht, die Menschen kommen aus nah und fern voller Erwartung - derzeit versucht ein einziger Priester, mit der Arbeit durchzukommen; den ersten Herzinfarkt hat er immerhin überlebt. Überall helfen pensionierte Priester aus, auch junge Priester aus Indien oder Polen - der kulturelle Graben wird manchmal ganz gut gemeistert, manchmal aber auch gar nicht. Die Zahl der Eucharistiefeiern wurde meist verringert, bisweilen über die Schmerzgrenze hinaus. Die wenigen verbleibenden Priester sind oft überarbeitet, manchmal vereinsamt.

Verwaltungen machen gerne "Strukturreformen", nicht nur in der Erzdiözese Wien, auch in Deutschland: Zum Beispiel werden im Bistum Trier aus 863 Pfarren 35 gemacht; auf dem Land werden 40 Pfarren fusioniert, und die Stadt Saarbrücken bekommt für 100.000 Katholiken eine Pfarre. Meist hat eine solche Großpfarre einen Pfarrer, der sehr viel verwalten muss, und einen oder mehrere weitere Priester, die sich auf die Seelsorge konzentrieren.

Keine Eucharistie - weniger Gottesdienstbesucher

Manche Bistümer setzen Laien als Verwaltungsleiter ein, andere lehnen dies ab - die geistliche Leitung dürfe man von der ökonomischen nicht trennen, heißt es, also muss der Priester alles leiten. So werden tausendjährige Pfarrtraditionen über Bord geworfen. Doch schon die wenigen Großpfarren können nur noch mühsam besetzt werden. In vielleicht 15 Jahren - junge Priester oder gar Seminaristen gibt es ja kaum noch - wird auch diese Struktur wegbrechen. Darüber denken Verwaltungen lieber nicht nach.

Damit entfällt jedoch die Eucharistie, immerhin "Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens", so sagte es das Zweite Vatikanische Konzil. Nun sollen Wortgottesfeiern an die Stelle der Eucharistie treten, aber viele Katholiken wollen - so sind sie religiös erzogen worden - lieber Eucharistie feiern und bleiben daher weg. Der Gottesdienst wird stärker durch das Wort - Lesungen, Predigt, Gesang usw. - geprägt: Will man das, in Verbundenheit mit den evangelischen Kirchen? Oder nimmt man es, eher unwillig, in Kauf, weil man ja eigentlich doch die Messe will? Weiß man noch, dass die Kirche schon immer die Eucharistie für unverzichtbar hielt?

Viri Probati können Probleme lösen, aber auch neue schaffen

Manche argumentieren, es gebe im Verhältnis zur Zahl aktiver Katholiken heute nicht weniger Priester als früher. Das mag stimmen - aber die Sozialstruktur verändert sich: Christen werden Minderheit sein; die Gemeinden sind kleiner und brauchen daher relativ mehr Priester, damit die Katholiken einigermaßen ortsnah zur Messe gehen können - auf die Mobilität der Leute zu setzen, hilft ein wenig, aber bei weitem nicht genug.

Über die Zulassung von verheirateten Männern zu den heiligen Weihen (Viri Probati) wird heute wieder mehr geredet. Dieser vermutlich gute Schritt kann einige Probleme lösen, aber er wird auch neue schaffen. Manche Frau wird sagen: "Noch mehr Männer am Altar, das ertrage ich nicht; warum nutzt man nicht die Gelegenheit, endlich Frauen zu weihen?" Dazu stellte allerdings Papst Johannes Paul II. klar, die Kirche dürfe das nicht, also solle man nicht darüber reden. Doch wir sind in der Krise, und die Leute lassen sich das Nachdenken und Reden nicht verbieten, zumal feministische Theologie und Frauenbewegung neue Erkenntnisse gebracht haben, hinter die es kein Zurück gibt.

Bleibt man beim zölibatären Männerklerus, verstärkt sich in diesen Mangelzeiten der Eindruck, hier wolle eine kleiner werdende Männergruppe ihre Macht erhalten. Ändert man jedoch die Zulassungsbedingungen, kommt unweigerlich Kritik aus den konservativen, medial sehr effizienten Netzwerken, die "Lehre der Kirche" werde zersetzt. In den Leitungsetagen der Kirche fürchtet man in diesem Fall eine traditionalistische Abspaltung - aber das gab es in der Geschichte öfters, und wäre diese so schwerwiegend? Ist die eucharistische Austrocknung der Kirche nicht ein größerer und schwerer zu verantwortender Schaden als der Austritt einiger, die meinen, ein sehr altes Kirchenbild verteidigen zu müssen?

Natürlich ticken die Uhren in verschiedenen Welt- und Kirchenkulturen sehr unterschiedlich. Aber könnten nicht regionale Kirchen - im Zug der vom Papst Franziskus angeregten Dezentralisierung - abgestimmt, aber eigenverantwortlich einige Schritte vorangehen? Der Konformitätsdruck in der Weltkirche wird durch die Globalisierung und durch die Omnipräsenz der Medien - alle wissen alles sofort, und man urteilt schnell und redet viel - zwar größer, aber warum braucht es für solche Schritte gleich weltkirchliche Lösungen? "Katholisch" bedeutet doch immer auch strukturelle Vielfalt, Integration von Kulturen, geistliche Kreativität, elegante und den lokalen Bedürfnissen angepasste Lösungen? Die Bischöfe sind hier am Zug.

Der Priester - grammatikalisch bleibe ich männlich, spreche jedoch von allen Berufenen - ist ein Hörender, der sich von Gott durchdringen und wandeln lässt. Nach intensiver spiritueller und intellektueller Ausbildung wird er von der Kirche in Dienst genommen. Mit großem persönlichem Einsatz an Zeit und Energie bezeugt und verkündet er den Glauben und die Liebe, und er ist den Armen nah. Dafür erhält er von der Kirche eine Weihe, die ihm sakrale Würde und Vollmacht verleiht. So verweist er auf Gott. Dafür wird er von den Menschen gesucht - ortsnah, erlebbar, berührbar. Wäre es nicht ein immenser Verlust, würden die Priester aussterben?

Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Beitrags in den "Stimmen der Zeit" (Mai 2018).