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Wie redet man über Migration

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Die drängendste politische Frage.


Aus aktuellem Anlass - eine Aktualität, die längst auf Dauer gestellt ist: Wie redet man über Migration? Das ist heute die drängendste politische Frage.

In den 1980er Jahren ging es ums Gegenteil. Da ging es darum, nicht im Namen der Unterdrückten zu sprechen. Da sollten die Ausgeschlossenen selbst das Wort ergreifen. Heute aber gibt es eine andere Dringlichkeit. Denn die Rechten haben das Sprechen über Flüchtlinge, über Fremde zu ihrem Atout gemacht.

Als Antwort darauf meinen nun manche, man sollte dieses verminte Terrain lieber meiden. Aber wenn sich die Emotionen genau bei der "Ausländerfrage" ballen, wenn die Leidenschaften genau hier investiert sind, dann kann man nicht einfach sagen: Reden wir über etwas anderes.

Wenn wir also darüber reden müssen, dann braucht es etwas, das man dem um sich greifenden negativen Diskurs entgegenhalten kann. Das ist der Punkt, an dem üblicherweise der Ruf nach einem neuen Narrativ kommt: Wir brauchen eine neue Erzählung, die die Leute ergreift, bewegt. Das Erstaunliche ist, dass man immer nur danach ruft, aber nie eine findet. Kein Narrativ. Nirgendwo.

Vielleicht weil es etwas anderes braucht. Vielleicht weil die Antwort auf die Frage "Wie redet man über Migration?" keine neue Erzählung - sondern vielmehr eine neue Art der Gesprächsführung ist.

Bernd Stegemann hat in der "Zeit" gemeint, es gäbe eine "Beschreibungslücke" für das Fehlverhalten von Flüchtlingen. Es braucht also eine nicht-rassistische öffentliche Sprache für solche Verwerfung, ebenso wie für die "alltäglichen Beobachtungen" der Bevölkerung. Hier aber beginnt das Problem: Beobachtungen und Fehlverhalten decken sich oft nicht. Es gibt ein kulturelles Unbehagen, das nicht von einem tatsächlichen Fehlverhalten herrührt. Die realen Probleme mit Flüchtlingen vermischen sich mit den eigenen Vorbehalten - sodass "alltägliche Beobachtungen" weniger objektive Indikatoren als Bestätigungen der subjektiven Vorurteile sein können. Das ist die erste Hürde der gesuchten Gesprächsführung. Wie kann man das auseinanderhalten? Wie unterscheidet man Kritik am Verhalten der Fremden vom Unbehagen an ihrem Hiersein? Heißt das, man muss über Migranten als Opfer und Migranten als Täter sprechen?

Aber da sind wir schon bei der zweiten Hürde. Denn dieser Gegensatz zwischen Opfer, arm, und Täter, bedrohlich, ist für viele kein Gegensatz. Für Viele sind die Fremden in jedem Fall bedrohlich. Nicht nur als Täter, sondern auch als hilflose Opfer, die versorgt werden müssen. In diese emotionale, reale und imaginierte, Gemengelage hinein, muss das Gespräch eine Bresche schlagen.

Es ist heute für Politiker - und für die Gesellschaft - überlebenswichtig, hier einen Gesprächsmodus zu finden. Die Gesellschaft braucht eine Talking Cure. Eine, die das Reden zulässt und zugleich dagegenhält. Dazu müssen Politiker zu Politiker-Therapeuten werden. Man müsste die besten Köpfe, die versiertesten Experten versammeln: Soziologen, Psychotherapeuten, Theologen, um hier einen Modus des Sprechens, eine Art der Gesprächsführung zu entwickeln. Es braucht einen richtigen Leitfaden, eine Anleitung: Wie redet man über Migration?