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Von Arno Tausch

Gastkommentare

Der globale Bibliotheksverbund "OCLC Worldcat" wurde 1967 am Ohio College Library Center als Verbund von nur 54 Colleges im US-Bundesstaat Ohio gegründet und vereint heute bereits 16.548 Bibliotheken in 124 Ländern. Die Grundidee des vom Bibliothekar Frederick Kilgour (1914 bis 2006) begründeten Projekts war, das in Bibliotheken verfügbare Wissen der Menschheit zu vereinen.

Der Katalog reicht heute von der University of Alaska in Fairbanks bis zur Universidad de Concepción im Süden Chiles, von der Universität Tromsö im nördlichen Norwegen bis zur University of Cape Town in Südafrika, und er expandiert heute immer mehr in die Asien-Pazifik-Region und auch in den vorderen Orient. Es wird schwierig sein, eine Universitätsbibliothek von einer der führenden 100 Universitäten der Welt zu finden, die nicht Mitglied des "OCLC Woldcat" ist. Auch praktisch alle wichtigen Bibliotheken unserer Nachbarländer und Westeuropas sind heute Mitglied des "OCLC Worldcat", in Deutschland sind es 428, in Frankreich 1212, in Italien 261.

Hingegen ist die Universitätsbibliothek Wien bisher draußen geblieben. In Österreich sind die Mitgliedsbibliotheken an zwei Händen abzuzählen: die Albertina, die Österreichische Akademie der Wissenschaften, der Axia-Verlag, die FHs Burgenland, Kärnten, und Wiener Neustadt, das Institut für Höhere Studien, das Institute of Science and Technology (ISTA) in Klosterneuburg, die IAEO, die IIASA sowie die Universitäten Graz und Innsbruck. Die Vollversion des Katalogs mit dem Portal "OCLC First Search" mit allen Analysemöglichkeiten ist in Österreich an der FH Burgenland in Eisenstadt implementiert.

"Europeana" ist kein gleichwertiger Ersatz

Kann sich Österreich nun eine derart ausgedünnte Präsenz in diesem gewaltigen globalen Verbund leisten? Mit 389 Millionen Einträgen in 491 Sprachen, mit mehr als 40 Millionen täglichen Zugriffen weltweit? Allein schon, um das an österreichischen Bibliotheken gespeicherte Wissen der hierzulande Lehrenden und Studierenden global sichtbarer zu machen und unseren Wissenschaftern und Studenten eine wichtige Navigationshilfe auf dem internationalen Wissenschaftsmarkt zu liefern? Die Fragen, die mit dem "Worldcat" beantwortet werden können, lauten etwa: Wie effizient erreicht heute die österreichische Wissenschaft ein geografisch äußerst disperses Publikum in vielen Ländern und Kontinenten? Werden unsere Publikationen in Harvard und Yale, Oxford und Cambridge, an der Nehru University in Delhi, der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba und in Sao Paulo gelesen? Und in Marokko und Jordanien, in Ghana, in Ulan Bator und in Beijing? In Sydney und in Singapur? Malaysia und Botswana? Und das alles sichtbar gemacht mit einem einzigen Mauseklick am Computer . . .

Interessieren diese Fragen überhaupt die Rektorate, das Wissenschaftsministerium, die für Wissenschaftspolitik zuständigen Parlamentarier und Sozialpartner? Was wissen wir über den globalen "Outreach" der in Österreich verfassten Studien, Zeitschriften und Bücher? Oder endet unser Tellerrand an der Außengrenze der EU?

So haben die Strategie-Verantwortlichen der Universitätsbibliothek Wien vor einiger Zeit auf eine diesbezügliche Anfrage mitgeteilt, dass die Universitätsbibliothek Wien auf eine Integration in den Verbund "OCLC Worldcat" explizit verzichtet und stattdessen das Portal "Europeana" fördert. Nun ist "Europeana" aber ein Teil der Strategie des seit 31. Dezember 2016 leider eingefrorenen Projekts der "European Library" und beinhaltet sicherlich verdienstvoll fast 52 Millionen Kunstwerke, Artefakte, Bücher, Videos und Audios aus ganz Europa. Das Argument lautete aber auch, "Europeana" sei ein mehr als gleichwertiger Ersatz für den "Worldcat". Und dies ist einfach falsch.

Belegen lässt sich das mit der Antwort auf die Frage, wie viele Treffer die beiden Systeme in der jeweiligen Disziplin aufweisen. Nehmen wir zum Beispiel das Forschungsgebiet der "Migration Statistics", zu dem Heinz Faßmann, der frühere Vizerektor der Universität Wien und aktuelle Wissenschaftsminister, unzweifelhaft bahnbrechende Arbeiten vorgelegt hat. Der Befund ist geradezu niederschmetternd: "Europeana" liefert dazu bloß 64 Treffer, während der "Worldcat" 153.364 Treffer anbietet (siehe Grafik). Ähnlich ist es mit zwei weiteren wichtigen österreichischen Wissenschaftern, Karl Aiginger (Ökonom, langjähriger Wifo-Chef) und Anton Pelinka (Politologe). Und es trifft sicher auch auf viele andere heimische Forscher zu.

Bessere Beobachtung der internationalen Performance

Der "OCLC Worldcat" bietet zwei generelle Vorteile:

Zugang zu Daten über Bibliotheksbestände und -dienste mit zwei Milliarden Bestandsnachweisen, Tendenz steigend;

bibliothekszentrierte Recherche, die Mitglieder auf wichtige Themen und Trends aufmerksam macht, inklusive Zugriff auf Berichte von "OCLC Research".

Die Hauptanwendungsgebiete des "Worldcat" für die wissenschaftliche Strategieentwicklung auf einem globalen Weltmarkt für die Produkte der Wissenschaft können folgende sein:

die Eruierung des globalen Bibliotheksimpacts von einzelnen Wissenschaftern, aber auch Instituten und Universitäten sowie die Objektivierung der Wirkung von Buchpublikationen insbesondere bei künftigen universitären Berufungsverfahren;

ein Monitoring des Impacts von Buchpublikationen, zum Beispiel auch der an der Universität Wien geschriebenen Bücher, Studien und Zeitschriften weltweit und in einzelnen Weltregionen, auch im Zeitverlauf;

eine rasche Auswahl der am besten geeigneten Verlage für künftige akademische Buchpublikationen, die bei bestimmten Themen während der vergangenen Jahre führend waren und Arbeiten zu diesem Thema in ein Maximum von Bibliotheken weltweit gebracht haben;

die Möglichkeit einer gezielten Suche für akademische Verlage in Österreich nach globalen Bibliotheken, die bereits einen echten Markt für ähnliche Produkte darstellen: Welche Bibliotheken weltweit kaufen etwa Produkte österreichischer Verlage? Wie sieht der Vergleich zum Beispiel mit konkurrierenden Verlagen mit einem ähnlichen Profil aus Skandinavien, den Niederlanden etc. aus, Disziplin für Disziplin?

Globale Bibliothekspräsenz im "Worldcat" als Erfolgskriterium

Wie das gesamte Potenzial des "OCLC Worldcat" für die wissenschaftliche Strategieentwicklung einzelner Universitäten oder Forschungseinrichtungen genutzt werden kann, geht aus einem häufig zitierten und sehr aufschlussreichen Aufsatz des US-Informationswissenschafters Howard White und seiner Mitarbeiter hervor: In "Libcitations: A measure for comparative assessment of book publications in the humanities and social sciences" aus dem Jahr 2009 wurde die sogenannte Libcitation-Methode entwickelt, mit der die Universitätsverwaltung von Sydney die globale Bibliothekspräsenz im "Worldcat" als Erfolgskriterium der Buchpublikationen der Universitätsmitarbeiter erstmals vorstellte. Diese Methode ist übrigens sogar mit der Open-Access-Version "OCLC Classify" durchführbar. Mit einem Blick können damit auch Forscher und Studierende die Hierarchie der wichtigsten, zweitwichtigsten etc. Arbeit eines Wissenschafters sehen.

Eine wichtige Anwendung ist auch das mit "OCLC Worldcat" möglich gewordene objektivierte Ranking akademischer Verlage. Basierend auf dem diesbezüglich besonders hilfreichen neuseeländische Bibliotheksportal "Te Puna on World Cat" lässt sich ein globaler Leistungsindex ("Libcitation Index") von 57 prominenten und global präsenten transnationalen Buchverlagen erstellen, die bereits früher Gegenstand ähnlicher Untersuchungen auf Basis regionaler Unionskataloge waren (Datenbank: "OCLC Worldcat"; Treffer: "nur Bücher"; Zeitraum: "die letzten 5 Jahre" - der Index projiziert die Ergebnisse der Reichweite und Kontinuität des Erfolgs auf eine Skala von 0 bis 1 und bildet den Durchschnitt der drei Indikatoren).

Auch Österreichs wissenschaftlichem Nachwuchs ist dabei ein erstes Instrument in die Hand gegeben, welcher Verlag heute die größte globale Bibliotheksreichweite erzielt und die Ergebnisse unserer Wissenschafter global am effizientesten verbreitet. Es kann sein, dass dabei einige Verlage in einzelnen Disziplinen (etwa Astronomie) bessere oder schlechtere Ergebnisse erzielen als bei anderen Disziplinen (zum Beispiel Politikwissenschaft).

Ist uns die globale Präsenz von Österreichs Wissenschaft ein Anliegen, kommen wir um die Nutzung des "OCLC Worldcat" nicht herum. Jeder Fragebogen für die Beurteilung eines bei einem transnationalen Verlag eingereichten Buchprojekts will auch wissen: Welche konkurrierenden Bücher sind bereits auf dem Markt? Nur der "OCLC Worldcat" liefert hier eine realistische Antwort.

Arno Tausch ist Universitätsdozent der Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und Gastprofessor der Ökonomie an der Corvinus University Budapest. Seine Bücher und Buchkapitel erschienen bei 31 Verlagshäusern der Welt (darunter Anthem Press, Oxford University Press, Routledge, Palgrave Macmillan und Springer). Er publizierte auch Analysen zur internationalen Wissenschaftsstrategie, unter anderem im "Journal of Scholarly Publishing" in Toronto.

Am weltweiten Bibliotheksverbund "OCLC Worldcat" ist die Universität Wien bewusst nicht beteiligt - eine unverständliche Entscheidung.