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Die Verantwortung unserer Generation

Von Veronika Gmachl

Gastkommentare

Das sehr gelungene Interview mit AMS-Chef Johannes Kopf ("Wiener Zeitung", 26. Mai) verlangt nach einer tieferen Auseinandersetzung. Einerseits ist es so, dass die im Interview von der Ausbildung an der Schule geforderten Fähigkeiten "Lernfähigkeit, Lernbereitschaft, kreative Neugierde, aber auch Such- und Prüfkompetenz sowie ganz allgemeine digitale Kompetenzen" schon ganz inhärent im System ausgebildet werden müssen. Dazu ist jeder Lehrer und jede Lehrerin heute schon verpflichtet - durch die Bildungsstandards, die Lehrpläne, einschließlich der "digitalen Grundbildung", die ab dem Schuljahr 2018/19 auch formal in der Sekundarstufe 1 umzusetzen ist.

Andererseits ist es auch so, dass gerade in Zeiten von schnellem Wandel und mehr Freiheit die Planbarkeit einige grundlegende Dinge fordert: Das ist zum einen mehr Eigenverantwortung, zum anderen die Bereitschaft, die Umstände zu akzeptieren oder im besten Fall mitzugestalten. Die dabei entstehenden Regeln müssen öfter hinterfragt werden, sind scheinbar fluider als bisher und sollen dabei den Menschen dienen - niemals umgekehrt. Das wissen Eltern durch die Beziehung mit ihren Kindern besonders gut, es gilt aber für alle in der Gesellschaft.

Fördern zum Verwirklichenvon Ideen

Wir steuern auf eine Zeit zu, nein: wir sind bereits in einer Zeit angekommen, die mehr und mehr Menschen die Chance gibt, aus ihren individuellen Fähigkeiten die bestmögliche Wertschöpfung zu generieren. Wertschöpfung meint hier nicht rein Materielles. Das gelingt bereits dort, wo sich die Menschen sehr grundlegende, scheinbar einfache Ziele setzen, die in die Eigenständigkeit und Selbstverantwortung führen. Dabei entstehen auch neue Berufe, neue Berufungen. Kaum jemand begibt sich heute in eine Anstellung und arbeitet auf die Pension zu. Und weniger als früher legen die gesellschaftliche Schicht, die Umstände, die Familie, in die man hineingeboren wird, zwingend den Lebensweg fest.

Es muss heute nicht mehr so sein, dass man als kleines Kind von einem bestimmten Job à la "Pilot" oder "Astronaut" träumt, mürber und mürber auf irgendeinen Job in der "echten" Welt hinarbeitet, weil das eigentliche Ziel unerreichbar ist, und dann ein Leben verbringt, das durch die Unmöglichkeit, den Traumjob auszuleben, von hilfloser Bitterkeit, unsicherem Machthunger oder anderen problematische Reaktionen geprägt ist. Es muss heute sogar nicht mehr so sein, dass man dann zwar tatsächlich Pilot wird, aber dann bei der Ausübung des Berufs entdeckt, dass er völlig ungeeigneter für die persönlichen Fähigkeiten ist.

Bei der Berufswahl anzuleiten bedeutet, die inhärenten Interessen und Fähigkeiten der Kinder kennenlernen zu wollen und sie mit der Wirklichkeit, mit dem Bedarf in der Gesellschaft, in der Gemeinschaft so abzugleichen, dass dabei sinnvolle Aufgabe, ein Sinn gebender Job, eine sinnvolle Unternehmensgründung als Entscheidung im Kind entsteht.

Wichtig dafür sind eine solide Basis an Grundwissen und die Fähigkeit, sich orientieren zu können. Orientierung brauchen wir im Innen und im Außen. Diese stellt in einer vernetzten Welt Bezüge zwischen den verschiedenen Lebensbereichen wie Wissenschaft, Wirtschaft, Technik und Gemeinschaft her. Daraus wiederum ergibt sich die Befähigung, Wissen und Fähigkeiten im Kontext anzuwenden.

Das Bildungswesen in die "Welt draußen" zurückbringen

Wie werden die Kinder, ihre Pädagogen, die Kindergärten und die verschiedenen Schultypen zukunftsfähiger? Wie sieht es aus, das Ökosystem "Lernraum", das wir unseren Nachfolgern zur Verfügung stellen? So, wie das AMS aus den Erfahrungen mit der Bildungskarenz aufgrund der Nicht-Erreichung der gewünschten Zielgruppe - also der fehlenden Übereinstimmung von Plan und Soll - die Bildungsteilzeit "erfunden" hat, sollten Lehrer und Schüler ein Setup entwickeln können, in dem Befähigung gefördert wird.

Das passiert konkret schon jetzt überall in diesem Land: in fächerübergreifendem Unterricht, in Projektunterricht, im Lösen von kompetenzorientierten Aufgaben zur Erreichung der Bildungsstandards, in Portfolio-Arbeit, in angewandten Projekten in Altenheimen, Flüchtlingsorganisationen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Institutionen, Partnerschulen im Ausland und Kindergärten, in Wettbewerben und in vielem mehr.

Dazu braucht es:

Fokus aus der Vogelperspektive - einen übergreifenden, der die Eigenverantwortung und die Menschenbildung über die Jahrgänge hinweg fördert und die Kompetenzen, die wir am Ende der Bildungspflicht von jedem Bürger unserer Nation erwarten, im Blick hat.

Zugang zu den Wissensgrundlagen, die wir uns in unserer Kultur und auf diesem Planeten angeeignet haben.

Motivation, diese Wissensgrundlagen zu erforschen, zu erweitern und anzuwenden.

Durchbrechen der Echokammern und Filterblasen, eine Überwindung der scheinbaren Gegensätze und Diskurs über ideologische Grenzen hinweg.

Herunterbrechen auf die individuelle Situation, um antworten zu können, anstatt zu reagieren.

Diskurskultur, Kommunikation und tiefe Durchdringung der Gesellschaft mit dem respektvollen Ringen um unsere Gemeinschaft.

Erzählen der jeweiligen Geschichten, die daraus konkret entstehen.

Schlüsse aus den Geschichten - und der Geschichte - ziehen, als Reflexion über Erfolg und Erfahrung.

Das alles, damit die Kinder ihre Flügel selbst heben können und wollen - wir können das für sie ohnehin nicht tun. Die Grundlagen und Rahmenbedingungen dafür herzustellen, ist unsere Verantwortung.

Wir publizieren digital, um beim Wachwerden zu unterstützen - eine Replik auf "Wir schrecken, um wachzurütteln".

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