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Wenn, dann für die ganze Ostregion

Von Gerd Sammer

Gastkommentare

Statt einer Citymaut für Wien wäre eine distanzabhängige flächendeckende Maut für den gesamten Ballungsraum von Wien, inklusive Teilen Niederösterreichs und des Burgenlands, die sinnvollere Alternative.


"Die Dosis und die Art machen die Wirkung." Frei nach Paracelsus gilt diese Aussage auch für den verkehrspolitischen Lösungsansatz einer Citymaut, denn Maut ist nicht gleich Maut. Je nach erwünschtem verkehrspolitischen Ziel muss eine Maut unterschiedlich konfiguriert werden.

Eine Maut ist eine sehr sensibel wirksame Maßnahme und kein Allheilmittel. Wie bei jeder Verkehrsmaßnahme sind auch die vielfältigen Nebenwirkungen zu beachten, die einzelnen Zielen entgegenlaufen können. Deshalb ist die Zweckmäßigkeit der Einführung einer Citymaut für Wien als kompensatorische Maßnahme für den S1-Lobautunnel oder für Graz zwecks Feinstaubsanierung nicht ohne genaue Definition der Maut und Beachtung aller wesentlichen Auswirkungen seriös zu beurteilen. Dies lässt sich anhand der realisierten Beispiele in Europa, wie Oslo, Stockholm, London oder Mailand, aber auch anhand nicht realisierter Beispiele, wie etwa Edinburgh, aufzeigen.

Verschiedene Arten von Maut

Unter einer Citymaut wird in der Regel eine Maut verstanden, bei der Autofahrer für die Einfahrt in einen Kordon um einen Stadtteil oder die ganze Stadt eine Einfahrtsgebühr bezahlen müssen. Diese Gebühr wird für alle einfahrenden Autos fällig und kann in ihrer Größe zeitlich sowie vom Fahrzeugtyp abhängig gestaltet werden. Eine Differenzierung nach Herkunft der Autos beziehungsweise nach Kennzeichen, zum Beispiel gemeldet in Wien und Niederösterreich, ist aus Gründen der Gleichbehandlung nicht machbar. Diese Art von Citymaut haben die vorhin genannten Städte. Grundsätzlich wäre auch eine Gebühr möglich, die von der zurückgelegten Entfernung im Mautgebiet abhängt. Das ist aber technisch mit deutlich größerem Aufwand und höheren Kosten verbunden.

Die zweite Art der Maut ist nicht auf einen eng abgegrenzten Bereich einer Innenstadt oder eines Stadtgebiets beschränkt. Sie wird als flächendeckende Maut eines großen Bereichs für das Straßennetz charakterisiert, wie zum Beispiel des Ballungsraums der Ostregion Wien, eines Bundeslandes oder ganz Österreichs. Diese Maut hat eine entfernungsabhängige Gebühr, die nach tatsächlich zurückgelegter Distanz ermittelt wird. Darüber hinaus ist eine Differenzierung nach Fahrzeugtyp, Zeit und Straßentyp möglich. Technologisch kann die Mautgebühr mittels eines GPS-Geräts im Fahrzeug, das mit einer Zentrale vernetzt ist, abgerechnet werden. So wird dies etwa für die Lkw-Maut in Deutschland gemacht.

Es gibt auch weitere Mautmodelle, wie zum Beispiel die Autobahnvignette für Pkw in Österreich, die hier nicht näher behandelt werden.

Eine Mautgebühr hat folgende generelle Auswirkungen: Je nach Höhe der Maut geht die Verkehrsnachfrage für Autos zurück, gemessen durch die Anzahl der Autofahrten über den Mautkordon einer Citymaut oder mittels der zurückgelegten Entfernung im Mautgebiet.

Dafür gilt eine Faustformel, die den zu erwartenden Rückgang des Verkehrs mittels eines Elastizitätsfaktors von -0,1 abschätzen lässt. Diese Formel basiert auf dem derzeitigen Durchschnittsverhalten der österreichischen Autofahrer. Für einen Pkw der Mittelklasse kostet der Treibstoff etwa 10 Cent pro Kilometer. Wird eine Mautgebühr von 1,5 Cent je Kilometer eingeführt, steigen die Gesamtkosten auf 11,5 Cent pro Kilometer, also um 15 Prozent. Daraus lässt sich folgende Formel bilden: 15% x (-0,1) = -1,5%. Die mit Pkw zurückgelegte Distanz im Mautgebiet sinkt demnach also um 1,5 Prozent.

Die Abnahme entsteht durch Verlagerung auf andere Verkehrsmittel, vor allem auf den öffentlichen Verkehr, durch Bildung von Fahrgemeinschaften, durch Änderung der Ziele, zum Beispiel im Einkaufsverkehr zu kürzer entfernten oder außerhalb des Mautgebietes liegenden Zielen, durch Verzicht auf einzelne Fahrten usw. Diesem erwünschten Effekt einer Maut steht natürlich die Einschränkung der Wahlfreiheit in der Mobilität für die betroffenen Autonutzer sowie auch der Erreichbarkeit mit dem Auto gegenüber.

Negative Auswirkungen

Es gibt eine Reihe von positiv zu bewertenden Auswirkungen einer Maut, wie die Verringerung negativer Umweltauswirkungen durch weniger Autoverkehr, langfristig eine Hebung der Lebensqualität und der Gesundheit und natürlich öffentliche Einnahmen aus der Mautgebühr, die für eine Verbesserung des Verkehrsangebotes und der Umweltverhältnisse genutzt werden sollten. Die Mautgebühren der Asfinag sind ein gutes Beispiel dafür.

Je nach Art der Maut sind aber auch eine Reihe von nicht zu vernachlässigenden negativen Auswirkungen zu beachten: Eine City- oder Kordonmaut führt zu einer klaren Abgrenzung in zwei Gebietsteile und damit zu einer Ausgrenzung. Dem inneren Teil, entweder der Innenstadt oder der gesamte Stadt mit einer Mautgebühr, liegt der Teil außerhalb des Kordons an der Innenstadtgrenze oder der Stadtgrenze ohne Maut gegenüber. Autonutzer, die nicht gezwungen sind, die Innenstadt oder das Stadtgebiet des Ballungsraumes aufzusuchen, werden außerhalb des Kordons liegende Ziele bevorzugt aufzusuchen.

Das hat die Folge, dass Betriebe innerhalb des Kordons wirtschaftliche Verluste erleiden, während Betriebe außerhalb des Kordons davon profitieren können. Je kleiner der Mautkordon gewählt wird, desto stärker ist dieser Effekt. Langfristig führt dies zur unerwünschten Nutzungsverlagerung von Betrieben, Arbeitsplätzen und Wohnungen in den äußeren Bereich. Dies kann anhand von Studien zum Beispiel für London nachgewiesen werden. Eine City- oder Kordonmaut fördert also die dezentrale Besiedelung, was auch eine gute Erschließung durch den öffentlichen Verkehr erschwert oder teurer macht.

Mautgrenze als Bollwerk

Eine Kordonmaut ist nur dann zweckmäßig, wenn der Kordon für ein wirtschaftlich sehr starkes, nicht zu großes Innenstadtgebiet eingeführt wird, wo eine gewisse Dämpfung der weiteren Entwicklung erwünscht ist. Begründet kann dies mit dem Argument werden, dass etwa die Mietpreise nicht zu stark steigen sollen und die Abwanderung der Wohnbevölkerung aus der Innenstadt vermieden werden soll. Für die Beispiele London, Mailand oder Stockholm trifft dies zu. Je größer der Kordon wird oder wenn er sogar die Stadtgrenze erreicht, desto stärker wird der Zersiedelungseffekt. Die Stadtgrenze wird dann als Verkehrsbollwerk wie eine mittelalterliche Stadtmauer wirken, das zu passieren von Autofahrern möglichst vermieden wird. Der Zersiedelungseffekt wird damit gefördert, weil die Ungleichheit in der Mautbehandlung des Gebietes innerhalb und außerhalb sehr wirksam ist.

Schon mit fortschreitender Realisierung des S1-Schnellstraßenrings rund um Wien ist festzustellen, dass starke Zentrifugalkräfte der Raumentwicklung wirksam werden und entlang der Schnellstraße große Betriebsansiedelungen und Großmärkte entstehen, die mit dem öffentlichen Verkehr kaum erschlossen sind. Verstärkt wird dieser Umstand natürlich durch die Bundesländergrenze zwischen Wien und Niederösterreich. Eine Mautgrenze an derselben Stelle würde diese unerwünschte Entwicklung noch verstärken.

80 Kilometer Mautradius

Daraus leitet sich ab, dass eine City- oder Kordonmaut für Wien negative Auswirkungen auf die Raumentwicklung im Sinne der Zersiedelung hätte, was unbedingt vermieden werden sollte. Vor einer Mautgrenze an den Bundesländergrenzen von Wien und Niederösterreich, die funktionell durch die starke Verkehrsverflechtung einen gut vernetzten Ballungsraum darstellt, ist aufgrund des risikoreichen negativen Entwicklungspotenzials zu warnen.

Diese Ablehnung gilt aber nicht für eine distanzabhängige flächendeckende Maut für den gesamten Ballungsraum von Wien, inklusive Teilen Niederösterreichs und des Burgenlands. Damit würden die negativen Auswirkungen der Raumentwicklung vermieden und durch einen Schritt in Richtung Kostenwahrheit eine kompakte Raumentwicklung gefördert. Die Mautgrenze sollte zumindest in der maximalen täglichen Pendlerdistanz von etwa
80 Kilometern vom Ballungsraumzentrum situiert werden. Damit wäre die mit jeder Mautgrenze verbundene Unstetigkeit der Verkehrsnutzerkosten zwischen Innen und Außen marginalisiert.

Maut darf nicht diskriminieren

Am besten wäre natürlich die Einführung eines österreich- oder europaweiten flächendeckenden und entfernungsabhängigen Mautregimes für den Pkw- und Lkw-Verkehr auf allen Straßen. Dies würde einen essenziellen Beitrag zur Klimaverpflichtung Österreichs zur Kostenwahrheit und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Mobilität leisten.

Von definierten verkehrspolitischen Anforderungen kann jeweils die geeignete Art einer Maut abgeleitet werden. Ein wichtiger Grundsatz der Verkehrspolitik sind das Verursacherprinzip beziehungsweise die Kostenwahrheit und eine faire und sozial verträgliche Behandlung aller Bürger. Das gilt natürlich insbesondere für den Umwelt-, den Klimaschutz und die Erhaltungskosten der Infrastruktur. Daraus ergibt sich eindeutig, dass eine Mautgebühr entfernungsabhängig und abhängig vom Fahrzeugtyp festgelegt werden soll.

Wichtig für die Akzeptanz einer Maut ist einerseits, dass soziale Diskriminierungseffekte vermieden und andererseits die Mauteinnahmen zweckgebunden für Verkehr und Umwelt verwendet werden. Eine soziale Kompensation kann etwa über die Höhe der Pendlerpauschale in gewissen Rahmen erfolgen. Diese Überlegungen führen zu einer klaren Präferenz: Soll der Ausbau der S1 inklusive Lobautunnel als Umfahrung von Wien eine nachhaltige Verkehrsentwicklung fördern, so ist der damit verbundene Kapazitätszuwachs der Umfahrungsstraßen innerhalb der Wiener Stadtgrenze bestmöglich zu kompensieren. Das kann sehr erfolgreich mit einer flächendeckenden entfernungsabhängigen Maut für den Ballungsraum der Ostregion als kleinste vertretbare Gebietsabgrenzung gelöst werden.

Besser ist allerdings eine österreichweite Lösung der Mautfrage, sowohl für den Pkw- als auch für den Lkw-Verkehr. Dies würde einen effektiven Beitrag zu den Zielen der österreichischen Klimastrategie leisten.

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