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Klassenkampf von oben

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Ob sie nun torkelt oder marschiert - das ist die Richtung, in der die Regierung sich bewegt.


Ist diese Regierung eine Gruppe von knallharten Profis, die den Umbau des Landes eisern durchziehen - oder ist es eine Truppe von Neulingen, die unprofessionell ein Chaos nach dem anderen anrichtet? Man sollte denken, so etwas sei eindeutig. Aber die Meinungen dazu gehen stark auseinander. Ob sie nun durchmarschiert oder torkelt - die Richtung wird immer eindeutiger. Gerade die Maßnahmen der letzten Tage haben gezeigt: Diese Regierung macht Klassenkampf von oben - eine Mottenkiste, die nicht die Kommentatoren des Geschehens geöffnet haben.

Dieser Klassenkampf greift doppelt an. So ist die massive Arbeitszeitreform mittels Initiativantrags, also ohne Begutachtungen und Stellungnahmen, eine unverblümte Kündigung der bisherigen Sozialpartnerschaft. Nicht dass diese das demokratische und soziale Paradies gewesen wäre - aber es war der erfolgreiche Versuch einer politischen Ordnung, die die Interessen aller berücksichtigt hat. Es war der Versuch, menschliche Verhältnisse in gesetzliche Regelungen zu gießen. Die neue Regelung richtet sich genau dagegen: Der Zwölf-Stunden-Arbeitstag ist nicht nur eine zeitliche Ausdehnung, sondern auch eine Erhöhung der Verfügungsgewalt über die Arbeitnehmer. Und die Freiwilligkeit, die nun noch beigefügt werden soll? So viel Freiwilligkeit kann die Regierung gar nicht versprechen, um die Leute zu beruhigen. Die Ablehnung "aus persönlichem Interesse"? Welchen Stellenwert hat diese, wenn sie vom ungeschützten Schwächeren auszufechten ist? Nein, in dieser Form ist das keine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, sondern eine Deregulierung des Arbeitnehmerschutzes.

Der zweite Angriff des Klassenkampfs von oben zielt auf den Konsens, um den die Sozialpartner bislang gerungen haben. Dieser Konsens war alles andere als eine Idylle - aber er war ein Aushandeln der Interessen auf Augenhöhe. Diese Regierung macht jedoch das Gegenteil: Sie bringt die Leute in Stellung gegeneinander. Das wird am zweiten Vorhaben dieser Tage, der Rasterfahndung nach falschen Krankenständen, besonders deutlich.

Gegen diese werden "Krankenstandskontrolleure" (was für ein Wort) ins Feld geschickt - etwas, was es teilweise schon gibt, aber erst durch den medialen Rummel der symbolischen Politik seinen Effekt entfaltet: Hier werden Ärzte gegen Patienten in Stellung gebracht. Hier werden die Krankenkassen aus Schutzinstitutionen zu Aufsichtsorganen, die Patienten und Ärzte gleichermaßen unter Verdacht stellen sollen. So wird die Schutzfunktion der Krankenkassen umgepolt: Sie sind es, die gesellschaftliche Vertrauensverhältnisse in Frage stellen sollen. Hier sollen ehemalige Solidaritätsverhältnisse untergraben werden.

Das ist nicht mehr "unser Geld für unsere Leut". Hier gerät vielmehr die nächste Gruppe ins Visier: Nach den Ausländern, den Fremden, den Asylanten sind es nun die Tachinierer, die "Krankenstandsschummler". Da geraten auch "unsere Leute" unter Verdacht.

Es war ein VP-Mann, ein Wirtschaftsbündler, der diesen Klassenkampf von oben in einer Formel zusammengefasst hat: Die Kritik der Arbeitnehmer an diesen Reformen seien "die Wehklagen der Wertlosen". Deutlicher geht es nicht.