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China als Meister der neuen Weltordnung?

Von Kurt Bayer

Gastkommentare

Das Vergeltungspotenzial im Handelsstreit mit den USA ist deutlich höher als bisher angenommen.


Das Machterhaltungsverhalten des Westens in den internationalen Finanzinstitutionen verdammt diese zu zunehmender Irrelevanz. Die Tatsache, dass dort die Stimmverhältnisse sowie die Besetzung der Verwaltungsräte den aufstrebenden Ländern wie China, Indien, Brasilien, Indonesien und anderen keine Rechnung tragen wollen, dass der Westen (samt seinen asiatischen OECD-Partnern) an seinen überproportionalen Vertretungsrechten beharrt, delegitimiert diese Institutionen und treibt die "Neuen" zur Bildung eigener Parallelinstitutionen.

So halten die USA weiterhin starr an ihrer Sperrminorität im Internationalen Währungsfonds und in der Weltbank fest, so beharren die Europäer weiterhin darauf, fast 30 Prozent der Mitglieder im 25-köpfigen Verwaltungsrat zu stellen, so gilt weiterhin das "Non-Gentlemen"-Agreement, dass die USA den Präsidenten der Weltbank (einer Entwicklungsorganisation!) und die Europäer den Managing Director des Währungsfonds stellen, so sind die Belegschaften dieser beiden Bretton-Woods-Institutionen stark von OECD-Mitgliedern dominiert.

Wen wundert es daher, dass die Brics-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika - wer erinnert sich noch an diese Formation?) 2015 ihre eigene Entwicklungsbank und ihren eigenen Quasi-Währungsfonds gegründet haben (auch wenn diese Institutionen nicht wirklich wirksam geworden sind), dass China 1996 die Asiatische Infrastruktur-
Investitionsbank (AIIB) gegründet hat, mit der es unter anderem sein Seidenstraßenprojekt, das seine Handelswege nach Europa und Afrika sicherstellen soll, ins Leben gerufen hat - mit einer Kapitalausstattung, die jene der Weltbank weit übertrifft.

Handelspolitik der USA schadet Konsumenten und Firmen

Sie "stimmen mit ihren Füßen ab", verlassen zwar nicht die alteingesessenen Bretton-Woods-Institutionen, die die Wirtschafts-Weltordnung nach Ende des Zweiten Weltkriegs dominier(t)en, machen aber ihre je eigenen Regeln und finanzieren Projekte, die ihnen selbst am Herzen liegen und ihre Interessen fördern. Die Milliarden an Infrastrukturprojekten (Eisenbahnen, Straßen, Flugplätze und Hafenanlagen), die über die AIIB in den vergangenen drei Jahren in Asien, Afrika Europa und neuerdings auch in Lateinamerika investiert wurden, sprechen ihre eigenen Sprache.

Und jetzt kommt dazu der Rückzug der USA aus seiner von ihm weitestgehend dominierten globalen Steuerung (und Verantwortung). Die Aufkündigung des Pariser Klimaschutzabkommens, des Transpazifischen Handelsabkommens, die Verächtlichmachung der Welthandelsorganisation durch die USA (obwohl sie sich "perfide" des von außen nicht zu kontrollierenden WTO-Arguments der Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit bedienen), die einseitige Zollerhebung auf Stahl und Aluminium, die Zölle gegen China, die "Neuverhandlung" von Nafta (mit Kanada und Mexiko), sowie eine Reihe anderer Aktivitäten zeigen, dass die USA unter ihrem Präsidenten sich als Opferlamm der Nachkriegsordnung darstellen - und ihr "America First" mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und andere Länder durchsetzen wollen.

Die meisten Kommentatoren (außerhalb der US-Regierung) sind sich einig, dass dies mittelfristig auch die Interessen der US-Konsumenten und Unternehmer verletzen wird. Erstere werden durch höhere Preise und geringere Warenvielfalt zur Kasse gebeten, Letztere durch das Zerbrechen ihrer jahrzehntelang aufgebauten globalen Zulieferketten sowie möglicherweise durch "administrative Schwierigkeiten", die ihren vor allem in China beheimateten Konzernen seitens der chinesischen Regierung bereits angedroht worden sind. So beträgt laut "Financial Times" vom 20. Juni der Wert der von US-Firmen in China verkauften Waren mit etwa 220 Milliarden Dollar gut zwei Drittel des Leistungsbilanzdefizits der USA gegenüber China (350 Milliarden Dollar) und ist damit deutlich höher als die gesamten Exporte der USA nach China (150 Milliarden Dollar). Das chinesische Vergeltungspotenzial ist also deutlich höher als bisher angenommen.

Chinas nicht ganz hehre Motive für Investitionen im Ausland

Dazu kommt aber - und das ist das Thema dieses Kommentars -, dass China sich lautstark als neue Führungsmacht in der globalen Wirtschafts- und Handelssteuerung anbietet - jetzt, da die USA abgedankt haben. Natürlich darf man diese Verlautbarungen nicht allzu ernst nehmen: China ist nicht bekannt dafür, seine eigenen Interessen jenen anderer Länder unterzuordnen; China hat seit seinem Beitritt zur WTO 2001 deren Regeln öfter verletzt, als gezählt werden kann, einerseits seinen Status als Entwicklungsland weidlich zu seinen Gunsten ausgenutzt, wollte aber dennoch den Status als "entwickelte Marktwirtschaft" zugesprochen bekommen; China hat ganz offensichtlich Technologieraub betrieben, sich dort ansiedelnde ausländische Gesellschaften (gegen "marktwirtschaftliche Regeln") gezwungen, ihre Technologien mit seinen Zwangs-Joint-Venture-Partnern zu teilen, und vieles mehr.

Auch sollte man Chinas internationale Beteuerungen, im Gegensatz zu den alten Kolonialmächten des Westens und Ostens seinen Entwicklungspartnern "auf Augenhöhe" zu begegnen, nicht für bare Münze nehmen: Zwar sind Chinas Investitionen, etwa in pakistanische Häfen oder afrikanische Bahnlinien, nicht mit Konditionalitäten à la Weltbank oder Währungsfonds versehen, die gute Staatsführung, Anti-Korruptionsmaßnahmen, offene Ausschreibungen und vieles mehr verlangen, aber es geht China natürlich um die Sicherung seiner Warenexporte, die Sicherung von dringend benötigten Rohstoffen und wohl auch um den Aufbau von politischem "Goodwill", der sicher in der Zukunft eingefordert werden wird. Die westlichen Institutionen sehen auch die große Gefahr einer nicht tragfähigen Verschuldung der Nehmerländer von chinesischen Krediten, deren Vermeidung ja auch Teil der westlichen Konditionalitäten ist.

Gemeinsame Sache machen und Taten einfordern

Dennoch: Wir in Europa sollten Chinas neue Pflegeleichtigkeit beim Wort nehmen - und Taten einfordern. Wir sollten China anbieten, mit uns gemeinsame Sache zu machen und die Globalisierung auf eine neue, sozial und ökologisch sowie wirtschaftlich tragfähige Basis zu stellen, die auch die Akzeptanz der Bevölkerungen sicherstellen könnte. Die Zertrümmerung der Weltwirtschaftsordnung durch den US-Präsidenten und seine Handlanger bietet eine einmalige Gelegenheit dazu, gemeinsam neue Regeln zu erstellen.

Geht Europa auf diese Herausforderung nicht ein, wird Chinas weiterer Aufschwung uns die globalen Regeln oktroyieren. Vergessen wir nicht, dass die chinesische Wirtschaft derzeit bereits etwa 12 Billionen Dollar "schwer" ist (USA 19 Billionen Dollar, EU 18 Billionen Dollar). Jetzt, wo China die Weltwirtschaft noch braucht, kann auch Europa Bedingungen zur Durchsetzung seiner Interessen im sozialen und Umweltbereich stellen. In fünf bis zehn Jahren wird es dafür zu spät sein, vor allem wenn die Zentrifugalkräfte in der Europäischen Union weiterhin zunehmen.

Leider ist das kein Thema beim kommenden EU-Gipfel. Und es scheint leider auch die österreichische Ratspräsidentschaft nicht zu interessieren. Dabei bedeutet "Europa, das schützt" nicht nur, die Grenzen vor dem "feindlichen Außen" zu sichern, sondern vielmehr, und wichtiger, bestimmend beim Durchsetzen neuer Regeln für eine sozial und ökologisch tragfähige Globalisierung dabei zu sein.

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