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Das Europa der Flüchtlingsabwehr und die Populisten

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Ihre Losung lautet: Es reicht nicht!


Haben wir sie nun, die Festung Europa? In jedem Fall war dieser EU-Gipfel ein Gipfel des Paradigmenwechsels hin zu einem Europa der Flüchtlingsabwehr - immerhin aber noch Europa.

Da ist es schon fast egal, dass im Vorfeld dieses Gipfels eine eigentümliche Diskrepanz stand: die Diskrepanz zwischen stark sinkenden Flüchtlingszahlen und einer stark steigenden Panikmache. Je weniger kommen, desto mehr wird getrommelt, hat man den Eindruck. So hatte etwa Horst Seehofer ursprünglich Obergrenzen verlangt. Als die Zahl der Flüchtlinge unter diese Marge fiel, forderte er nun die Abweisung bereits registrierter Asylsuchenden, um an den Grenzen wieder Recht und Gesetz durchzusetzen. Als ob dort Chaos herrschen würde. Da wird Kickls Spielfelder Simulation fast zu einer Metapher: Wenn es keinen Massenansturm an den Grenzen gibt, nimmt man halt Statisten.

In dieser Situation zwischen realer Entschärfung und konstruierter Dringlichkeit fand der EU-Gipfel statt. Und nun, wo man sich auf vieles geeinigt hat, um die Regulierung der EU-Grenzen in Richtung Schließung voranzutreiben - nun stellt sich die Frage: Ist es so, wie es sich manch einer erhofft hat? Eröffnen die geschlossenen Grenzen jenen geschützten Raum, innerhalb dessen eine liberale Gesellschaft wieder möglich wird? Führen sie zu einer Eindämmung des hetzerischen Populismus?

Was diese mögliche Eindämmung anlangt, so hat Viktor Orban schon bei seinem Eintreffen in Brüssel wohlweislich die Marschroute angekündigt. "Die Menschen verlangen zwei Dinge. Das erste ist: Keine Migranten mehr, stoppt das!" Für den Fall aber, dass man sich auf einen strikten Kurs in dieser Sache einigen könnte, hat er vorsorglich gleich nachgelegt: "Das zweite ist: Bringt die zurück, die schon da sind." Darin weiß er sich mit seinem italienischen Kollegen Salvini ganz einer Meinung. Man muss sehr genau verstehen, was er, was sie uns damit sagen wollen. Es bedeutet: Es reicht nicht. Die Grenzen kontrollieren. Die Grenzen schließen. Es reicht nicht!

Warum? Weil die populistische Gesellschaft der Homogenität ein Fake ist. Weil Populismus ein Projekt der Spaltung ist. Weil sie eine Einheit suggerieren, die immer wieder eine neue Spaltung der Gesellschaft eröffnet. Weil sie immer wieder neue Nicht-Zugehörigkeiten ausmachen werden. Orban hat das bereits vorgemacht. Nach den Flüchtlingen zauberte er den nächsten Sündenbock aus dem Hut: Soros.

Nein, Populismus ist keine überschießende Kritik mit rationalem Kern, der übrig bleibt, wenn man den Überschuss beseitigt. Etwa in der Flüchtlingsfrage. Populismus ist weder zu befriedigen noch zu befrieden. Das sei all jenen gesagt, die ihm entgegenkommen wollen.

Und jenen, die in ihrem Herzen keine Populisten, keine Rassisten sind - die aber dennoch wollen, dass "die", die Fremden wieder weg sind. Denen müsste man sagen: Selbst wenn "die" alle wieder weg wären, selbst wenn es gelingen würde, "die" alle zu vertreiben - es wäre trotzdem nicht wie früher. Die Gesellschaft hat sich verändert. Das mag eine Zumutung sein. Aber eine, die man aushalten muss. Eine, mit der man einen Umgang finden muss. Denn unschuldig kann man nicht zurück.