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Bloßes Schräubchendrehen bei der Zentralmatura ist zu wenig

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole ist Musikerzieher, Dirigent und Unternehmer im Bildungs- und Tourismusbereich. Er war Berater mehrerer Unterrichtsminister und koordiniert die Arbeit eines rund 50-köpfigen multidisziplinären Teams am "Unterrichts:Sozial:Arbeits- und Strukturplan für Österreich 2015 - 2030" (www.ifkbw-nhf.at). Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Der Mathematikunterricht ist durch mehrere historisch bedingte Hypotheken belastet. Es gilt wenige, aber gewichtige Hebel zu bedienen.


Die TU Wien beklagt, dass viele Studenten die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. Mathematiklehrer gestehen ein, dass sie 95 Prozent des Unterrichtsstoffes selber im Alltag nie brauchen, und sind überproportional oft von Burnout betroffen. Für Schüler ist Mathematik das Angstfach Nummer eins. Wie konnte es dazu kommen?

Mathematik war der letzte Gegenstand, der im 19. Jahrhundert gegen den erbitterten Widerstand der Vertreter alter Sprachen (Griechisch, Latein, Bibelhebräisch) in den Fächerkatalog des Humboldtschen Gymnasiums Aufnahme fand. Durch die Industrielle Revolution begünstigt, folgte ein Ausufern durch die Anreicherung mit "höherer Mathematik". Die Frage nach deren Sinn für die Allgemeinbildung wurde bis heute selten gestellt und noch nie plausibel beantwortet. Auch mathematisch-technische Spezialschulen brachten keine Entlastung an Gymnasien - AHS- und HTL-Maturanten bekommen bei der Zentralmatura die gleichen Aufgaben.

Rechnen als Grundlage der Mathematik bedarf wie alle Fertigkeiten des zeitlich engmaschigen, regelmäßigen Übens. Dieses wurde ab den 1970ern ebenso wie der Frontalunterricht (von dem es mehr als ein halbes Dutzend sehr unterschiedliche Formen gibt und der durchaus positiv wirken kann) pauschal abgelehnt. Zudem entlässt die Bildungs- und Gesellschaftspolitik die Erziehungsberechtigten aus ihrer gesetzlich normierten Verantwortung für den Schulerfolg ihrer Kinder. Und es wird teils sinnloses, weil verständnisbefreites Lernen für Tests und Matura betrieben, damit die Aufgaben irgendwie - meist eben nur scheinbar - bewältigt werden. Hier hilft das grassierende Notendumping kräftig mit (immerhin hatten alle bei den Grundrechnungsarten versagenden Studienanfänger eine positive Maturanote in Mathematik). Dass textgebundene Aufgaben immer stärker Defizite im sinnerfassenden Lesen offenbaren, zeigt, dass die fehlende Kultur des sinnerfüllten Übens nicht nur die Rechenfähigkeit beeinträchtigt.

Was ist zu tun? Es gibt seit Jahrzehnten immense Bemühungen in allen Schultypen und Bundesländern, der Mathematik den Schrecken zu nehmen und den Unterricht locker und fröhlich zu gestalten, doch es bleibt ein Angstfach. Nach einhelligen Einschätzungen sind nur 10 bis 15 Prozent der Schüler mathematisch begabt und mögen das Fach - für sie sind die derzeitigen Anforderungen adäquat. Not tut eine Zweiteilung des Mathematikunterrichts spätestens in der Oberstufe. Als Freifach sollte "höhere bis hohe Mathematik" für jene angeboten werden, die ein mathematikrelevantes Studium anstreben, die Mehrzahl der Schüler sollte die Alltagsmathematik (die Beherrschung der Grundrechnungsarten) vertiefen. Damit wären die Mathematikkenntnisse künftiger Technikstudenten ungleich höher als je zuvor, die Unis könnten die Ressourcen der "Brückenkurse" in andere Bereiche investieren, und die Mehrheit der Schüler würde den Umgang mit den Basics unaufgeregt beherrschen. Vor allem würde die lähmende, zerstörerische Mathematikangst der Vergangenheit angehören. Ein Schräubchendrehen bei der Zentralmatura ist jedenfalls reine Symptomkosmetik und bringt daher gar nichts.