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Nachhaltige Kredite statt Einmal-Subventionen

Von Andrew McDowell

Gastkommentare

Wie die Europäische Investitionsbank in der Flüchtlingskrise hilft.


Die Flüchtlingskrise und die Migration gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Laut einer Studie der UN-Flüchtlingsagentur waren 2017 weltweit rund 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist fast das Achtfache der Bevölkerung Österreichs. Die Migration stellt alle politisch Verantwortlichen in den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen auf eine harte Probe - das hat der EU-Gipfel in Brüssel in der vergangenen Woche noch einmal eindrucksvoll verdeutlicht. Österreich, das seit dem Wochenende für die nächsten sechs Monate in der EU den Ratsvorsitz innehat, wird deshalb bei der Umsetzung der europäischen Flüchtlingsagenda besonders gefordert sein.

Die 28 Staats- und Regierungschefs haben sich in Brüssel einerseits darauf verständigt, die Asylpolitik in Europa deutlich zu verschärfen. So sollen die EU-Außengrenzen stärker gesichert, die Grenzschutzagentur Frontex bis 2020 verstärkt und gerettete Bootsflüchtlinge in geschlossenen Aufnahmelagern in der EU sowie in nordafrikanischen Sammellagern untergebracht werden. Andererseits will die EU im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen von 2021 bis 2027 mehr Mittel für die Entwicklung Afrikas einsetzen, um die dortigen ökonomischen und humanitären Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass sich die Menschen gar nicht mehr auf den gefährlichen und mitunter tödlichen Weg nach Europa aufmachen. Auch hier kommt der österreichischen Regierung eine äußerst wichtige Rolle zu, denn sie muss die Verhandlungen über den Finanzrahmen moderieren und entscheidend voranbringen.

Bessere Lebensbedingungenfür mehr Stabilität in Afrika

Die wirtschaftliche Perspektive und die Lebensbedingungen vor Ort in der südlichen Nachbarschaft und in Afrika zu verbessern, ist auch aus Sicht der Europäischen Investitionsbank (EIB) ein unverzichtbarer Teil einer globalen Lösung, um mehr Stabilität, mehr Sicherheit und bessere Chancen für die Menschen in der Region zu schaffen - und deshalb hat die EIB, als Finanzierungsarm der EU, bereits ihre entsprechenden Aktivitäten gezielt verstärkt: Wir haben auf Ersuchen der 28 EU-Mitgliedstaaten, die unsere Eigentümer sind, eine eigene Initiative gestartet, um rasch und unbürokratisch zusätzliche Finanzmittel zur Unterstützung von Wachstum, lebenswichtiger Infrastruktur und sozialem Zusammenhalt in den von der Flüchtlingskrise stark betroffenen südlichen Nachbarländern und in den Ländern des westlichen Balkans zu mobilisieren.

Diese "Economic Resilience Initiative" (ERI) zielt darauf ab, zusätzlich zu den bereits geplanten EIB-Projekten bis 2020 noch einmal Kredite von mehr als 4,5 Milliarden Euro im südlichen Mittelmeerraum bereitzustellen. Damit steigt die Unterstützung der EU-Bank für die Region auf insgesamt bis zu 14 Milliarden Euro, darunter rund 2 Milliarden Euro, die wir für risikoreichere Finanzierungen zur Unterstützung des privaten Sektors einsetzen. Das sind vor allem Mikrokredite an Klein- und Kleinstunternehmen, und es sind genau diese Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen.

Gründliche Durchleuchtung der unterstützten Projekte

Die Politik der EU-Bank ist es dabei, die Hebelwirkung ihrer Finanzierungen spürbar einzusetzen, mit anderen Worten: Wir durchleuchten die Projekte gründlich finanziell und technisch, damit unsere Kredite eine optimale Katalysatorwirkung erzielen. Dann steigen, wenn die EIB Gelder für Projekte bereitstellt, weitere private Investoren mit ein, denn wir finanzieren immer nur einen Anteil der Projekte, niemals aber 100 Prozent. So werden wir mit ERI zusätzliche Mittel seitens Dritter in Höhe von voraussichtlich gut 11 Milliarden Euro aktivieren. Insgesamt dürften so die Investitionen in den südlichen Nachbarstaaten bis 2020 rund 25 Milliarden Euro erreichen.

Und an ökonomischem und humanitärem Handlungsbedarf mangelt es nicht. Nie war die Nachfrage nach Wasser, Energie, Verkehrsverbindungen, Wohnraum, Bildung und Arbeitsplätzen in der südlichen Nachbarschaft der EU und am Westbalkan so hoch wie heute. Aber wir müssen noch einen entscheidenden Schritt weitergehen: Wir müssen besonders in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur investieren, um vor allem jungen Frauen und Männern Lebensperspektiven in ihrer Heimat zu bieten.

Darauf zielt ERI vor allem ab: Über örtliche Partnerbanken unterstützen wir schon jetzt 1300 kleine und mittelgroße Unternehmen und sichern damit mehr als 55.000 Arbeitsplätze. Neue Infrastrukturprojekte im Rahmen von ERI werden in der Bauphase 125.000 Stellen schaffen. Und wir haben durch unsere Projekte bereits vier Millionen Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser eröffnet und weiteren vier Millionen eine bessere Abwasserentsorgung ermöglicht. Das sind ganz konkrete Ergebnisse unserer Finanzierungen, das messen und überwachen wir konsequent vor Ort.

Die Flüchtlingskrise hat uns politisch die Augen geöffnet

Die Flüchtlingskrise hat noch einen weiteren Effekt. Sie hat uns politisch die Augen geöffnet. Bisher war Europas Rezept für die Region eine globale Sozialpolitik, mit gutgemeinten Einmal-Zahlungen, aber ohne nachhaltiges ökonomisches Konzept. Jetzt sehen und setzen wir, zum Beispiel mit unserer Resilienzinitiative, einen klaren Paradigmenwechsel. Wir vertrauen nicht mehr ausschließlich auf klassische Subventionen, sondern auf Kredite und andere rückzahlbare Finanzinstrumente. Mit anderen Worten: Die Gelder müssen vom Empfänger zurückerstattet werden. Deshalb achten wir bei den Projekten ganz besonders darauf, dass sie sich langfristig rechnen, also nachhaltig sind. Und wir können, unter dem Garantiemandat der EU und mit Hilfe von freiwilligen Zuschüssen der Mitgliedstaaten und technischer Unterstützung, auch Projekte stemmen, die ansonsten aufgrund knapper öffentlicher Kassen, einer geringen Rendite oder wegen des hohen Risikos nicht zustande gekommen wären.

Eines ist allerdings klar: Die Staaten am Westbalkan und in Afrika sind in der Pflicht, mit eigenen strukturellen und gesetzlichen Reformen den notwendigen Rahmen zu schaffen, damit wir privates Geld in den vorrangigen Sektoren mobilisieren können. Ohne eigenes Engagement der politischen Eliten vor Ort nützt die bestgemeinte europäische Hilfe leider nichts. Die EU muss daher ganz deutlich machen, dass unsere finanzielle Solidarität das eigene Reform-Engagement der betroffenen Gesellschaften zwingend voraussetzt.

Fazit: Europa muss in seiner Flüchtlingspolitik auch und vor allem die Fluchtursachen nachhaltig bekämpfen, indem wir in den Herkunftsländern der Migranten Arbeitsplätze und Lebensperspektiven schaffen helfen. Die EIB ist als Bank der EU bereits aktiv vor Ort unterwegs und arbeitet Hand in Hand mit der lokalen Wirtschaft sowie nationalen, europäischen und internationalen Entwicklungsakteuren - sei es zur Sicherung der Wasserversorgung im Gazastreifen, zur Verbesserung der Infrastruktur im Kosovo oder bei der Förderung von Existenzgründern durch Mikro-Finanzierungen in Afrika. Die EIB steht natürlich auch bereit, die österreichische Ratspräsidentschaft in den kommenden Monaten insbesondere bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, aber auch bei allen weiteren Herausforderungen tatkräftig zu unterstützen, die mit zukunftsorientierten und nachhaltigen Investitionen angepackt werden können.

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