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Eine Einigung zu Lasten Dritter

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Die Einigung zur Lösung des deutschen Koalitionsstreits in Asylfragen schlägt weiterhin international hohe Wellen: Es handelt sich um eine typische Einigung zu Lasten Dritter. Selbst bei Zustimmung aller betroffenen Länder, die nicht in Sicht ist, wäre sie rechtlich zweifelhaft. Für Österreich (letztlich aber für die gesamte EU) ist die unilaterale Vorgangsweise Deutschlands ein politischer Affront.

Was ist der Gegenstand der Einigung zwischen CDU und CSU? An der deutsch-österreichischen Grenze soll ein neues Grenzregime geschaffen werden, das sich auf sogenannte Transitzentren stützt, in denen geprüft werden soll, welches Land für ein Asylverfahren zuständig ist. Sollte eine Kontrolle der Eurodac-Datenbank ergeben, dass die Fingerabdrücke eines Asylwerbers schon in einem anderen EU-Land erfasst worden sind, soll er ins Erstantragsland zurückgeschoben werden.

Eine mögliche Demontagedes Dublin-III-Systems

Was auf den ersten Blick als sinnvolles Instrument zur Verhinderung von Sekundärmigration erscheint, die auch vom Dublin-III-System verhindert werden sollte, erweist sich bei genauerem Hinsehen als in vielerlei Hinsicht problematisch, ja als mögliche Demontage dieses Systems insgesamt. Die Rückschiebung in das Erstregistrierungsland setzt ein Abkommen Deutschlands mit dem betroffenen Staat voraus, und solche Abkommen sind mit wichtigen Ländern, insbesondere Italien, gegenwärtig nicht absehbar.

Punkt 3 des innerdeutschen Asylabkommens sieht für den Fall einer fehlenden Rücknahmeübereinkunft die direkte Abweisung an der Grenze zu Österreich vor. Auch diese Maßnahme ist unilateral weder rechtlich noch praktisch durchführbar. Und ein diesbezügliches Abkommen mit Österreich ist nach gegenwärtigem Stand der Diskussion schwer vorstellbar. Es wäre auch innenpolitisch in Österreich schwer vermittelbar.

Die Substanz des CDU/CSU-Papiers ist damit folgende: Deutschland katapultiert sich selbst aus dem Dublin-III-System, und wer mitkommt, kommt mit. Österreich müsste auf dieser Grundlage zusehen, nicht selbst zu einem großen Transitzentrum zu werden, und in der Folge wohl die Grenzübergänge nach Slowenien und Italien, insbesondere den Brenner, verstärkt kontrollieren, was im Schengen-System nur als Notstandsmaßnahme (bei einer Bedrohung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit), zeitlich befristet (maximal zwei Jahre) und im Einvernehmen mit der EU möglich wäre.

Am Ende dieser Kette stünden die Staaten an den Außengrenzen, insbesondere Italien. Deutschland und Österreich würden mit diesen Maßnahmen eine schwere Verstimmung des südlichen Nachbarn und gegebenenfalls Rechtsverfahren in Kauf nehmen; Italien hingegen eine humanitäre Katastrophe im Mittelmeer.

Transitbereiche können kein Vorbild für Landesgrenzen sein

Ein eigenes Problem stellen die geplanten Transitzentren dar, innerhalb derer das beschleunigte Prüfverfahren abgewickelt werden soll. Die im sogenannten Flughafenverfahren geltende "Fiktion der Nichteinreise", die im Transitbereich der Flughäfen ein beschleunigtes Asylkontrollverfahren erlaubt, kann Deutschland kaum einseitig auf die Landesgrenzen übertragen. Schon faktisch sind Landesgrenzen etwas ganz anderes als Transitbereiche auf Flughäfen, die punktuell eingerichtet und weitgehend problemlos überwacht werden können.

Haftähnliche Situationen, die über 48 Stunden hinausreichen würden, sind auch in Deutschland politisch - da verfassungsrechtlich klar unzulässig - sogleich ausgeschlossen worden. Zudem basiert das gesamte Dublin-III-System auf der Gewährleistung ordentlicher Asylverfahren an den Landesgrenzen. Die restriktiven Vorkehrungen im Flugverkehr (siehe beispielsweise die "carrier sanctions"), die aufgrund der neuralgischen Funktion dieser Einrichtungen im Asylwesen akzeptiert werden, können keinesfalls im Analogieweg auf die Situation an den Landesgrenzen übertragen werden.

Völlig ausgeschlossen wäre es, diesen Transitzentren extraterritoriale Natur zuzuerkennen. Dies wäre nichts anderes als ein offener Versuch, die Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu umgehen.

Und selbst wenn von all diesen Problemen abgesehen werden könnte, dann verbliebe immer noch der Umstand, dass die Regeln der Familienzusammenführung das Erstantragsprinzip überlagern, was wiederum die Ansprüche ans Prüfverfahren erhöht und die Idee der quasi-automatischen Rückschiebung selbst zur Fiktion werden lässt.

Damit wird Folgendes immer deutlicher: Das GEAS ist so, wie es durch Dublin III maßgeblich vorgeprägt wurde, mit der Gefahr der Auflösung konfrontiert. Unilaterale Maßnahmen wie der CDU/CSU-Kompromiss vom 3. Juli beschleunigen noch diesen Prozess. Zwei für das Funktionieren dieses Systems unabdingbare Grundvoraussetzungen sind nämlich nicht erfüllt:

In erster Linie setzt Dublin III einen Solidaritätsmechanismus voraus, der die Staaten an den Außengrenzen entlasten müsste - der aber nie geschaffen worden ist. Das Erstantragsprinzip, das tatsächlich die gefürchtete Sekundärmigration verhindern kann, bedingt nämlich, dass nachfolgend eine Umverteilung der Asylwerber erfolgt. Ein entsprechendes Quotensystem konnte aber, obwohl verordnet, nie durchgesetzt werden.

Und schließlich beruht das gesamte Asylsystem auf der Erwartung von Einzelanträgen, die numerisch nicht ins Gewicht fallen, und nicht von Massenflucht- und -wanderbewegungen, wie wir sie jetzt feststellen.

Internationale Regelungen, die der Realität vor Ort nicht mehr gerecht werden, werden regelmäßig durch die Macht des Faktischen außer Kraft gesetzt.

Transitzentren: Die unilaterale Vorgangsweise Deutschlands ist ein politischer Affront. Selbst bei Zustimmung aller betroffenen Länder, die nicht in Sicht ist, wäre sie rechtlich zweifelhaft.

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