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Besser als gedacht

Von Arno Tausch

Gastkommentare

Bei der Integration der Muslime in Europa und speziell in Österreich gibt es auch viel Positives zu vermelden.


Obwohl über die Integration der Muslime in Europa unendlich viel politisch gestritten wird, muss der an empirischer Evidenz interessierte Sozialwissenschafter bald feststellen, dass die für Datenerhebungen und Datenanalysen zuständigen europäischen Statistikbehörden - wie Eurostat, Eurobarometer oder Eurofound - nicht jene Evidenz zum Thema Muslime in Europa liefern, wie sie auf internationaler Ebene etwa vom PEW-Institut in Washington, vom "World Values Survey" der University of Michigan oder von der Anti-Diffamation League (ADL) in New York City seit Jahren vorgelegt werden.

Wären bessere gesamteuropäische und vergleichbare Daten über Leben, Werte, Arbeit, Einstellungen und Einkommen der Muslime in Europa verfügbar, würde sich der erbitterte Streit zwischen Anhängern und Gegnern der "Willkommenskultur" in Europa zugunsten einer lösungsorientierten Politik erübrigen, und tatsächliche Politik-Alternativen könnten - ausgehend von den wirklich real existierenden Verhältnissen - erarbeitet werden.

Ein bisher wenig untersuchtes Thema

Wie steht es nun um Österreichs europäische Performance bei der Integration der Muslime? Eine seit den späten 1990ern entwickelte Methode in der Europäischen Union besagt ja, die Länder mit guter Praxis bei der Lösung eines Problems mit jenen mit schlechter Praxis zu vergleichen. Es gibt nun insbesondere seit dem Europäischen Rat von Lissabon im Jahr 2000 eine Fülle von anspruchsvoller sozialpolitischer Fachliteratur über die Rolle der Sozialpolitik in der EU, aber die Frage, wie die soziale Lage der Millionen Muslime auf unserem Kontinent aussieht und welche Politik zu einer erfolgreichen oder misslungenen Integration führt, ist nur wenig behandelt worden.

Um eine entsprechende europäische Perspektive der Betrachtung dieser diffizilen Frage zu erarbeiten, stehen an sich die Daten des "European Social Survey" (ESS) zur Verfügung. In Ermangelung entsprechender Untersuchungen von Eurobarometer etc. sind sie wenigstens die zweitbeste Antwort auf die Frage, wie arm oder reich, wie ausgeschlossen oder integriert die Muslime in Europa sind und wie die von ihnen vertretenen politischen und sozialen Werte aussehen.

Der ESS ist eine wissenschaftlich geleitete und länderübergreifende Umfrage, die in Europa alle zwei Jahre durchgeführt wird. Wichtig ist, dass sich auch Länder außerhalb der EU regelmäßig daran beteiligen, darunter Israel, das eine Weltklasse-Sozialwissenschaft besitzt und in dem nach dem Bevölkerungsanteil gemessen heute die größte muslimische Bevölkerung in einer westlichen Demokratie lebt.

Die ESS-Stichprobenziehungen sind repräsentativ für alle Personen ab 15 Jahren (es gibt keine Altersgrenze nach oben hin) mit Wohnsitz in Österreich, unabhängig von Nationalität, Staatsangehörigkeit oder Sprache. Die Stichprobengröße von mehr als 2000 Personen garantiert, dass die Muslime in Europa mit ausreichend großen Subsamples (über n=30) zu Wort kommen, um eine wenigstens annähern vernünftige statistische Aussage treffen zu können, wenn auch die kleinen Samples eine höhere Fehlerspanne verursachen.

Integrationsdefizite und Integrationsguthaben

Mithilfe des ESS lässt sich nun die Integration der Muslime anhand folgender Vergleichszahlen für die Periode von 2012 bis 2016 einschätzen:

  • eine möglichst hohe Identifikation mit dem parlamentarischen System;

  • eine möglichst hohe Identifikation mit dem Justizsystem;

  • eine möglichst hohe Identifikation mit der Polizei;

  • eine möglichst hohe Identifikation mit dem Demokratiesystem:

  • eine möglichst hohe Integration in jene Gesellschaftsschichten, die nicht durch extreme Armut gekennzeichnet sind.

Im Kontext der Ergebnisse sei daran erinnert, dass die Harvard-Professorin Pippa Norris zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die Wertanpassung an die Mehrheit in den Migrationsempfangstaaten in den Bereichen Gender und Familie weit langsamer ist als etwa im Bereich Arbeit und Politik. Einer der überraschendsten Aspekte ist, dass angesichts massiver Einbrüche unter der europäischen Mehrheitsbevölkerung ab der Krise 2008 in Bereichen wie Steuermoral, Vertrauen in zentrale Institutionen des Staates und in die Demokratie schlechthin die Muslime in Europa oft einen - im Vergleich zur Gesamtbevölkerung - Überschuss an Integration aufweisen. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, ist aber eine empirische Tatsache. Außer auf der ökonomischen Ebene besteht etwa in Österreich bei den gewählten Indikatoren gar kein Integrationsdefizit der Muslime.

Die Leistungen eines jeden Landes bei der Integration der Muslime können nun, wie in früheren Untersuchungen zum Thema, mit der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) entwickelten bekannten Methode ("Human Developent Index") statistisch weiterverarbeitet werden. Zunächst werden alle Komponenten auf eine Skala von 0 bis 1 übertragen, und die Komponenten werden dann mit einem Gewicht von jeweils einem Fünftel (5 Indikatoren) aufaddiert. Österreich hatte nach diesen Daten 2016 die drittbeste Performance unter den Ländern mit vorhandenen ESS-Daten (siehe Grafik).

Schweden - doch kein gutes Vorbild für Österreich?

Zu beachten wären dabei die enttäuschenden Werte von Schweden, Frankreich und Spanien sowie die schlechte Performance von Israel und Bulgarien, die beide eine relativ große muslimische Minderheit haben. Im Vergleich zu früheren Jahren ist Israel in der Skala abgerutscht.

Analog zum "Gender Empowerment Measure" des UNDP, der die Diskriminierung der Frauen misst, schätzen wir im Folgenden die Kluft in den Lebensbedingungen der Muslime zur Gesamtgesellschaft bei den zuvor aufgezählten fünf Vergleichszahlen.

Eine geringe Kluft zwischen den Ergebnissen der Muslime und der Gesamtbevölkerung oder gar ein "Überhang" der Muslime bei den fünf Teilindikatoren entspricht dem Gesamtwert 1,0 - eine geringe Machtbeteiligung und daher starke Kluft zwischen den Muslimen und der Gesamtbevölkerung entspricht dem Indikatorwert 0,0. Österreich hat hier die beste Performance aller Staaten.

Bedenklich ist, dass Schweden 2016 den schlechtesten Wert aller vergleichbaren Staaten aufwies. In der politischen Bewertung dieser Daten wäre festzuhalten, dass Schweden in der Flüchtlingskrise ab 2015 zunächst ein besonders hohes Maß an "Willkommenskultur" aufwies und eine ganze Phalanx von Sozialwissenschaftern über die Jahre die These vertrat, Schwedens besonders liberale Migrationspolitik solle ein Vorbild für Österreich sein. Die Tatsachen sind aber komplett verschieden: Österreichs langfristig restriktive Zuwanderungspolitik schneidet bezüglich der Machtbeteiligung der Muslime am besten ab, während in Schweden die soziale Kluft zwischen den Muslimen und der übrigen Gesellschaft gefährlich größer wird.

Ohne auf die statistischen Details einzugehen, zeigen die ESS-Daten, dass Österreich auch bei der jährlichen Verbesserung der Integration im Spitzenfeld liegt.

Bildung - der Schlüssel zu einer gelungenen Integration

Insbesondere in Deutschland und Österreich ist die Bildungskluft zwischen den Muslimen und dem Rest der Bevölkerung noch deutlich und zeigt eine Agenda für die Fortsetzung der erfolgreichen Politik der vergangenen Jahre auf. Daten der Harvard-Professorin Jocelyne Cesari zeigen auch, dass in den USA ein wichtiger Sektor muslimischer Einwanderung mit einem sehr hohen Bildungs- und auch Einkommensniveau existiert, was die dortige Integrationspolitik natürlich erleichtert.

Ist also alles gut in Österreich? Natürlich bestehen weiter Probleme, die ebenso wenig wegdiskutiert werden können wie die fraglosen Erfolge der Integrationspolitik in den vergangenen Jahren. Mit der massiven Zuwanderung ab Sommer 2015 ist relevant geworden, dass für mehr als zwei Drittel der nach allen sozialwissenschaftlichen Regeln Befragten in der muslimischen Welt gilt, dass sie folgende gesellschaftspolitischen Werthaltungen (in aufsteigender Ordnung) vertreten:

  • Ehrenmord massiv befürwortet: Jordanien, Bangladesch, Ägypten, Afghanistan und Irak.

  • Steinigung bei Ehebruch massiv befürwortet: Pakistan, Palästinensergebiete und Afghanistan.

  • Antisemitismus massiv vorhanden: Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten, Oman, Libanon, Marokko, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrein, Jordanien, Kuweit, Tunesien, Algerien, Libyen, Jemen und Irak.

Da wäre dringend eine Eurobarometer-Studie angebracht, die die für Integration, Genderpolitik und auch Terrorbekämpfung relevanten Fragen des PEW-Instituts, des "World Values Survey" und der Anti-Diffamation League mit entsprechend großen Samples erhebt.

"Islamischer Calvinismus" als Lösung?

Es hat sich schon in der ersten Dekade unseres Jahrhunderts gezeigt, dass optimistische Tendenzen einer gelungenen Integration der Muslime in Europa sich allesamt auf jene Aspekte beziehen, die aus der durch den Bonner Soziologen Erich Weede aufgezeigten Affinität von kapitalistischer Eigentumsordnung und Islam herrühren. Weede hat das im provokanten Satz zusammengefasst, dass der Prophet Mohammed seinen Lebensunterhalt als "honest Businessman" verdiente, auch im Gegensatz zu Propheten anderer Weltreligionen. Daraus abgeleitet hat sich eine Debatte über "islamischen Calvinismus" ergeben, die betont, wie wichtig es wäre, muslimisches Unternehmertum in Europa und künftig auch die Stärken muslimischer Werthaltungen im europäischen Vergleich - wie bei Eigentum, Ehrlichkeit statt Steuerhinterziehung, Respekt gegenüber den Institutionen des Staates - zu fördern. Damit hätten nicht nur die Parteien der Linken, sondern auch jene der Rechten ein breites Betätigungsfeld, den Muslimen in Österreich Perspektiven zu bieten.

Zum Autor

Arno Tausch ist Universitätsdozent der Politikwissenschaft und pensionierter Ministerialrat im Sozialministerium. Er hat in einer Reihe von Publikationen die Integrationsproblematik dezidiert in den weiteren Rahmen der Sozialpolitik der Europäischen Union gestellt, unter anderem bei den Verlagen L’Harmattan (Paris) und Rozenberg (Amsterdam).