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Die Südtirol-Frage ist noch lange nicht gelöst

Von Andreas Raffeiner

Gastkommentare
Andreas Raffeiner befindet sich im Doktoratstudium Geschichte in Innsbruck und ist freiberuflicher Redakteur, Rezensent, Referent und lebt in Bozen. Alle Beiträge dieser Rubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die anti-europäische italienische Haltung in der Debatte um Doppelpässe ist besorgniserregend.


Die Debatte rund um die eventuelle doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler nimmt immer groteskere Züge an. Italienische Politiker sehen das Ganze als besorgniserregend. Dass beispielsweise Slowenien den Auslandsitalienern in Slowenien einen zweiten Pass gestattet und toleriert, wird natürlich verschwiegen. Glaubwürdigkeit tut Not.

Ist Italien immer noch im Gedankengut vor 100 Jahren steckengeblieben? Diese zugespitzte wie in der gleichen Weise mehr als berechtigte Frage darf man als Demokrat schon noch in den Raum stellen. Denn die Thematik, die emotional ist, sollte nicht zu einem beunruhigenden Gegenstand hochgeschaukelt werden. Italien stört das wenig. Riccardo Fraccaro, Minister für die Beziehungen zum Parlament, erklärte, dass der Wille der türkis-blauen österreichischen Regierung um Bundeskanzler Sebastian Kurz, eine doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler einzuführen, besorgniserregend sei.

Fraccaro weiter: "Sollte das bestätigt werden, was österreichische Medien berichten, wären wir mit einer unangebrachten und feindlichen Geste konfrontiert, die wir mit Entschlossenheit ablehnen würden. Die österreichische Regierung soll auf die weitere politische Instrumentalisierung eines derart wichtigen Themas verzichten."

Außenminister Enzo Moavero Milanesi rief Sergio Barbanti, den italienischen Botschafter in Wien, auf, sich bei der österreichischen Regierung bezüglich der jüngsten Entwicklungen zu erkundigen. Bis
7. September soll an dem Gesetzesentwurf gefeilt werden. In den bisherigen Strategiesitzungen wurde der Kreis der möglichen Antragsteller definiert. Im Zusammenhang mit der Schutzfunktion Österreichs solle es sich um alle in Südtirol wohnhaften italienischen Staatsbürger mit deutscher und ladinischer Muttersprache handeln. Rechte und Pflichten seien auch abgeklärt worden.

Dem Fass aus dem Boden schlug Giorgia Meloni, Chefin der Oppositionspartei Fratelli d’Italia. Sie warnte, dass Österreichs Wille, Südtirolern den Doppelpass zu gewähren, die Weichen für Südtirols Sezession stellen würde. Sollte Österreich den Doppelpass einführen, würden ihre Gefolgsleute und sie darauf drängen, dass in Italien keine doppelte italienisch-österreichische Staatsbürgerschaft anerkannt werde. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft wolle, wedre dann die italienische verlieren.

Dass Slowenien den Italienern in Slowenien die italienische Staatsbürgerschaft gestattet, scheint man vergessen zu haben. Diese anti-europäische Haltung von Meloni & Co ist im Gegensatz zu einem doppelten Pass besorgniserregend. Und wer glaubt, dass der Konflikt um Südtirol seit der offiziellen Streitbeilegung 1992 tatsächlich zu den Akten gelegt worden sei, wird immer wieder eines Besseren belehrt.

Der EU-Leitgedanke "Einheit durch Vielfalt" wird immer mehr ad absurdum geführt und ist in diesem Fall eine Farce sondergleichen. Der Nationalstaat Italien hat immer noch nicht verstanden, dass Minderheiten eine Bereicherung und keine Kampfansage für die territoriale Integrität bedeuten.