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Ausweitung der Grenzzone

Von Markus Schauta

Gastkommentare

Die EU will Transitzentren für Flüchtlinge einrichten. Aus Sicht nordafrikanischer Staaten ist die Gefahr groß, am Ende mit den Kosten und der Flüchtlingsfrage alleine gelassen zu werden.


Am 1. Juli hat Österreich den EU-Ratsvorsitz übernommen. Der Schutz der Außengrenzen steht ganz oben auf der Liste jener Themen, die im kommenden halben Jahr diskutiert werden sollen. Die Strategie, die Österreich und eine Reihe weiterer EU-Staaten vorschlagen: die Auslagerung der Abwicklung von Asylverfahren nach Nordafrika. Sogenannte Transitzentren sollen in Zukunft Anlaufstelle sein für Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder Armut aus ihren Heimatländern geflohen sind. In den Zentren können sie offiziell Asyl in der EU beantragen. Je nach Ausgang des Verfahrens reisen sie am Ende in die EU ein oder müssen in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

Soweit der Wille der EU.

Doch während sich beim EU-Gipfel im Juni Staats- und Regierungschefs auf Transitzentren in afrikanischen Staaten geeinigt haben, sind eine Reihe von Details weiterhin unklar. Erfahrungsgemäß können Asylverfahren lange dauern, in Österreich bis zu mehreren Jahren. Während dieser Zeit müssen die Menschen in den Zentren versorgt werden. Wer wird für diese Kosten aufkommen? Und was geschieht mit jenen, die einen negativen Asylbescheid erhalten, mangels Rücknahmeabkommen aber nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden können? Wird das Transitzentrum ihr neues Zuhause?

Fragen, die in den bisherigen Beschlüssen ausgeblendet blieben, die aber bedeutsam sind, sieht man sich die Zahlen an: Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) halten sich alleine in Libyen mehr als 400.000 Migranten auf (Schätzungen gehen bis zu einer Million). Hinzu kommen jene, die in Ägypten, Tunesien, Algerien und Marokko auf die Überfahrt warten. Sollte der Plan der EU aufgehen und auch nur ein Teil dieser Menschen die Registrierung in den Transitzentren dem Risiko der Mittelmeerüberquerung vorziehen, ist das eine logistische Herausforderung. Zumal diese Zentren humanitären und rechtlichen Standards der EU entsprechen sollen.

Nein zu EU-Plänen

Die Zentren könnten sich daher zu riesigen Camps auswachsen, wie sie etwa in Uganda (Bidibidi: 285.000 Menschen), Kenia (Kakuma: 185.000) oder Jordanien (Zaatari: 85.000) bereits existieren. Mit all den Herausforderungen, die das für eine Region beziehungsweise einen Staat mit sich bringt. Regierungen nordafrikanischer Staaten wissen, dass Camps dieser Größe (genauso wie viele kleinere Zentren) nur mit erheblichem finanziellen Aufwand und der Hilfe einer Vielzahl internationaler Organisationen (die von Geldern der internationalen Gemeinschaft abhängig sind) geführt werden können.

Ägypten, Tunesien, Algerien, Marokko und Niger haben den Bau von Transitzentren abgelehnt. Der ägyptische Parlamentspräsident Ali Abd al-Aal argumentiert, dass sich in Ägypten bereits zehn Millionen Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika und dem Nahe Osten befänden. Ägypten habe seine Kapazitäten daher erreicht. Ob sich in Ägypten tatsächlich so viele Flüchtlinge aufhalten, darf bezweifelt werden. Laut UNHCR sind es etwa 300.000. Kann sein, dass in dieser Übertreibung der Wunsch mitschwingt, mit der EU einen Deal einzugehen, ähnlich wie seinerzeit Libyens Präsident Muammar al-Gaddafi: Ihr gebt uns Geld, und wir sorgen dafür, dass die vielen Flüchtlinge in unserem Land nicht nach Europa weiterreisen.

Tatsache ist: Die Transitzentren sind (vorerst) vom Tisch. Ägypten will nicht zum Warteraum werden für Menschen auf ihrem Weg nach Europa. Nicht zuletzt, weil die Finanzierung dieses Warteraumes ungewiss ist. Die EU ist zur Frage einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik und der damit verbundenen Aufteilung der Kosten nach wie vor uneinig. UNHCR und andere Organisationen - unverzichtbare Partner bei der Organisation von Transitzentren - sind chronisch unterfinanziert. Aus Sicht nordafrikanischer Staaten ist die Gefahr daher groß, am Ende mit den Kosten, aber auch mit der Flüchtlingsfrage alleine gelassen zu werden.

Schwierige Grenzkontrollen

Kooperationsbereit zeigen sich nordafrikanische Regierungen hingegen, wenn es zur Zusammenarbeit bei Grenzkontrollen kommt. So investiert die EU etwa in Libyens Küstenwache und unterstützt Niger und Mali beim Aufbau von Grenztruppen, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Libyen beziehungsweise Algerien aufhalten sollen. Doch das Dichtmachen der Grenzen funktioniert nicht so einfach, wie es mancher Politiker in der EU suggeriert. Die Südgrenzen Ägyptens, Libyens, Algeriens und Marokkos verlaufen durch die Sahara. Allein Libyens Grenze zieht sich durch 1500 Kilometer Wüste. Eine riesige, unübersichtliche Region, die man nicht einfach abriegeln kann.

Hinzu kommt, dass das (auch unter Beteiligung von EU-Staaten) ins Chaos gebombte Libyen über keine Regierung verfügt, die Abkommen mit der EU flächendeckend umsetzen könnte. Die von der EU unterstützte "Regierung der nationalen Einheit" in Tripolis hat weder die Kontrolle über bereits bestehende Anhaltelager, geschweige denn kann sie für den durchgehenden Schutz der Südgrenze sorgen.

Ägyptens Grenzen sind vor allem im Südwesten, in der libyschen Wüste, porös. In Algerien ist die Situation ähnlich. Im Süden grenzt das Land an Mauretanien, Mali und Niger. Die Routen durch die Wüste sind schwer zu kontrollieren. In Marokko ist die Situation eine etwas andere. Das Land verfügt über ein relativ striktes Grenzregime, freilich stehen auch hier Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen Flüchtlinge an der Tagesordnung.

Horror-Lager in Libyen

Glaubt man Analysen zur Entwicklung der Flüchtlingsströme in den kommenden 20 bis 30 Jahren, wird Europa eine Zielregion bleiben. Der Wunsch der EU nach einer von allen Mitgliedstaaten getragenen gemeinsamen Flüchtlingspolitik, bei der die Kontrolle über die Außengrenzen gewahrt bleibt, ist verständlich. Die Kooperation mit nordafrikanischen Staaten ist naheliegend. Aber sie ist eben auch ein zweischneidiges Schwert. Denn Kooperation und finanzielle Unterstützung legitimieren und stärken Regimes wie jenes in Ägypten, das durch sein brutales Vorgehen gegen die Opposition und jede Form von Kritik den gesellschaftlichen Frieden gefährdet und dadurch zu einem Auslöser weiterer Fluchtbewegungen werden kann.

Unabhängig davon, ob sich die Transitzentren doch noch realisieren lassen, oder ob es bei einer Unterstützung beim Grenzschutz bleibt: Es wird auch in Zukunft Aufgabe der EU sein, sicherzustellen, dass der dort verhandelte Teil der EU-Migrationspolitik nach humanen Kriterien abläuft. Eine Aufgabe, die finanziellen und diplomatischen Einsatz erfordert.

Horror-Lager wie jene in Libyen, in denen Menschen gefoltert und vergewaltigt werden, oder Abschiebungen tausender Menschen in die Wüste, wie in Algerien innerhalb der vergangenen 14 Monate geschehen, können nicht akzeptiert werden. Und natürlich darf die Politik nicht bei der Bekämpfung der Symptome stehen bleiben. Es gilt die Ursachen von Migration und Flucht - Überbevölkerung, Armut, Kriege - zu bekämpfen, um den Menschen Perspektiven in ihren Herkunftsländern zu schaffen. Die EU wird das nicht alleine stemmen können, aber sie ist verantwortlich, ihren Teil dazu beizutragen.

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