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Faktenwissen ist die Grundlage für sinnvolle Politische Bildung

Von Ernst Smole

Gastkommentare
Ernst Smole ist Musikerzieher, Dirigent und Unternehmer im Bildungs- und Tourismusbereich.Er war Berater mehrerer Unterrichtsminister und koordiniert die Arbeiteines rund 50-köpfigen multidisziplinären Teams am "Unterrichts:Sozial:Arbeits- und Strukturplan für Österreich 2015 - 2030" (www.ifkbw-nhf.at). Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Das Wahlalter wurde auf 16 Jahre herabgesetzt, doch die Politische Bildung in der Schule ist auf halbem Weg steckengeblieben.


Das Thema Politische Bildung wird meist eindimensional diskutiert - es dominieren Fragen des Meinungstransfers zwischen Lehrenden und Schülern. So kommt politische Stammtischkultur in die Schulen, die sich durch ein Nullum an politischem Wissen und ein Maximum an persönlicher Meinung auszeichnet.

Und so klagen Eltern heute zum Beispiel: "Mein Sohn darf heuer wählen. Doch obwohl er Unterricht in Politischer Bildung erhält, hat er keine Ahnung, was ein Nationalratsmandat ist, was der Begriff Gewaltenteilung bedeutet oderwas die Bundesverfassung kennzeichnet." Im Unterricht wird ausschließlich diskutiert - leider weitgehend frei von Wissen.

Laut einer Sora-Studie aus dem Jahr 2017 kann rund ein Drittel der 15- bis 35-Jährigen nicht sagen, ob die NS-Zeit eine positive oder eine negative Epoche war - ein verheerendes Zeugnis für Schulen und Elternhäuser und ganz besonders für jene Fächer, die sich mit Geschichte und Politischer Bildung zu befassen hätten. Dass sich der Prozentsatz der NS-Ahnungslosen in der Bevölkerung weitgehend mit jenem der analphabetischen Pflichtschulabgänger deckt, ist vermutlich kein Zufall.

Der problematische reale Status der Politischen Bildung an Österreichs Schulen - zu spät, nicht flächendeckend, unsichere, ängstliche Lehrpersonen - ist eine Folge der fruchtlosen Aktivitäten um eine klare, den Föderalismus in das 21. Jahrhundert holende österreichische Bundesverfassung. Der seit 2003 für dieses Ziel werkende "Österreich Konvent" hatte vom Gesetzgeber auch den Auftrag erhalten, im "Doppelpack" die Herabsetzung des Alters für das aktive Wahlrechts auf 16 Jahre und eine zeitgemäße und zeitgerechte Politische Bildung in allen Schultypen auf Schiene zu bringen. Das Ergebnis war eine austriakische "Halbheit" im Grillparzer’schen Sinn: Das Wahlalter wurde zwar herabgesetzt, doch die Politische Bildung ist auf halbem Weg steckengeblieben.

Das Ziel eines verbindlichen Gegenstandes "Politische Bildung" für alle Schüler? Nicht pseudozeitgeistige "Kompetenzen", sondern ausreichendes Faktenwissen ist die unverzichtbare Grundlage jeglicher Bildung, so auch von politischer. Qualifiziertes Wissen schafft Orientierung und kann Aggressionen verhindern.

Das zweite Ziel muss die Entwicklung der Meinungsfähigkeit sein - in Zeiten einer "Ist mir wurscht"-Mentalität keine einfache Sache.

Zum Dritten muss es darum gehen, die eigene Meinung gekonnt zu kommunizieren und in Folge des Disputes aufgrund von Erkenntniszuwachs - oder wegen erkannter Änderungen im Politikfeld - zu modifizieren.

In welcher Struktur sollte so verstandene Politische Bildung vermittelt werden? So wie eine schulische Berufsorientierung mit 14 Jahren zu spät kommt, müsste auch die Politische Bildung mit der 5. Schulstufe starten. Diese kann durchaus Teil eines Kombinationsfaches sein, wenn gesichert ist, dass sie tatsächlich werthaltig unterrichtet wird und nicht von den Lehrpersonen zugunsten anderer, weniger heikler Schwerpunkte "guerilla-autonom", also gesetzeswidrig, hinwegmarginalisiert wird. Dies gilt es zu sichern.