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Leistung und Gerechtigkeit

Von Wilfried Altzinger

Gastkommentare
Wilfried Altzinger ist ao. Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, stellvertretender Leiter des Instituts für Makroökonomie und Leiter des Forschungsinstituts "Economics of Inequality" (www.wu.ac.at/ineq).
© Ineq

Der Zugang zu Bildung und die Besteuerung von Vermögen spielen beim Thema Chancengleichheit eine wichtige Rolle.


Fragen der Gerechtigkeit beschäftigen Philosophen seit der Antike. Zwei Konzepte stehen dabei im Mittelpunkt: einerseits Chancengleichheit, andererseits Ergebnisgleichheit gemessen in Form von Einkommen, Vermögen, Erfolg, Macht und Prestige. Während die Herstellung von Chancengleichheit generell als gerecht empfunden wird, ist die Frage der Ergebnisgleichheit stark umstritten. Dabei geht es immer um die Frage, ob die Ergebnisse "gerecht" oder "ungerecht" erzielt wurden.

Unter Chancengleichheit versteht man generell, dass die Ergebnisse unabhängig von der familiären und regionalen Herkunft erzielt werden. Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung hält fest: "Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen." Sei Chancengleichheit gegeben, so wird häufig argumentiert, sei das Ergebnis immer nur Resultat der individuell erbrachten Leistung. Davon wird häufig abgeleitet, dass Maßnahmen zur Gewährleistung der Chancengleichheit alleine bereits genügen, um Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Argumentation setzt jedoch implizit zumindest zweierlei voraus: einerseits eine strikte Unabhängigkeit von Chancen- und Ergebnisgleichheit; und andererseits eine "gerechte" Entlohnung für die auf unterschiedlichen Märkten erzielten Ergebnisse. Doch ist dem auch so?

Einkommen als Faktorfür Chancengleichheit

Der US-Ökonom Alan Kruger hat 2012 den Zusammenhang von Chancen- und Ergebnisgleichheit in den Mittelpunkt seiner Rede vor dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama gestellt. Chancengleichheit wurde dabei gemessen in Form des Zusammenhangs zwischen dem Einkommen der Kinder und jenem ihrer Eltern. Ist dieser Zusammenhang hoch, so bedeutet dies relativ geringe Chancengleichheit und damit eine entsprechend geringe Einkommensmobilität. Hohe Chancengleichheit, gemessen an der Einkommensmobilität, findet sich insbesondere in den nordischen Ländern Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland, die solche Voraussetzungen vor allem durch ein vorbildhaftes Schul- und insbesondere Vorschulsystem gewährleisten.

Gleicher und unentgeltlicher Zugang zu Bildung ist einer der zentralen Punkte zur Herstellung von Chancengleichheit. Hier hat der öffentliche Sektor mit seinen bildungspolitischen Einrichtungen großes Gestaltungspotenzial. Ergebnisungleichheit wurde in dieser Untersuchung - wie zumeist - gemessen in Form von Einkommensungleichheit der vorhergehenden Generation. Die Studie zeigte dabei einen klaren Zusammenhang: Je höher die Einkommensungleichheit der Elterngeneration, desto stärker war auch die Abhängigkeit der Einkommen der Kinder von jenem der Eltern und entsprechend geringer die Einkommensmobilität. Kruger zeigte mit seiner Studie somit sehr eindrucksvoll, dass die Einkommens(un-)gleichheit von heute die Chancen(un-)gleichheit der kommenden Generation bestimmt.

Vermögens- verstärkt Einkommensungleichheit

Chancengleichheit kann aber neben der Einkommensmobilität auch noch in einer anderen Dimension vermessen werden, nämlich hinsichtlich der Vermögensmobilität. Auch hier lässt sich Chancengleichheit wiederum bestimmen über die Frage, wie stark die Schaffung von Vermögen der heutigen Generation abhängig ist vom Vermögen der vorigen Generation: Besteht eine hohe Vermögensmobilität, ist der aktuelle Vermögensbestand relativ unabhängig vom Vermögensbestand der Eltern und die Chancengleichheit entsprechend hoch.

Die Zeitschrift "Trend" hat jüngst die 100 vermögendsten Familien Österreichs aufgelistet, die 24 Prozent des österreichischen Gesamtvermögens besitzen. Daten der Oesterreichischen Nationalbank zeigen gleichzeitig, dass die ärmsten 50 Prozent der österreichischen Haushalte nur 4 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Vermögensungleichheit verstärkt auch die Einkommensungleichheit, da sich das Gesamteinkommen von Haushalten aus Arbeits- und Kapitaleinkommen zusammensetzt.

Während jedoch im Jahr 2010 das Durchschnittseinkommen der "unteren" 95 Prozent aller österreichischen Haushalte lediglich zu 3 Prozent aus Kapitaleinkommen und zu 97 Prozent aus Einkommen aus Arbeit bestand, erzielte das oberste 1 Prozent der Haushalte knapp ein Drittel aus Kapitaleinkommen. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass das Gesamteinkommen dieser Haushalte mit 315.000 Euro das knapp Neunfache der "unteren" 95 Prozent (38.000 Euro) ausmachte. Eine ungleiche Vermögensverteilung hat somit enorme Auswirkungen auf die Verteilung der gesamten Markteinkommen.

Die Auflistung der 100 reichsten Haushalte zeigt vor allem eines: Die Familien, die Vermögen in nur einer Generation schaffen konnten, sind äußerst spärlich gesät. Der überwiegende Teil hat Vermögen bereits über Generationen akkumuliert und dieses an die nächste Generation verschenkt oder vererbt. Dass alle Studien zeigen, dass die Vermögensmobilität wesentlich geringer ist als die Einkommensmobilität, ist nicht verwunderlich.

Vermögen ist viel stärker konzentriert als Einkommen und Bildung und wird häufig unmittelbar, also ohne starken Eingriff durch die öffentliche Hand, übertragen. Bildungsmobilität und somit auch Einkommensmobilität sind zentral abhängig vom Zugang zu Bildung, und Vermögensmobilität ist abhängig vom Zugang zu Vermögen. Während aber der Erwerb von Bildung abhängig ist von der öffentlichen Bildungspolitik, werden die Übertragung und der weitere Erwerb von Vermögen zentral durch die Frage der Besteuerung dieses leistungslosen Erwerbs künftiger Einkommensquellen bestimmt.

Soll also die Chancengleichheit verbessert werden, muss einerseits vorschulische Bildung und Ausbildung für alle, insbesondere aber von Kindern aus sozial benachteiligten Familien gefördert werden. Andererseits sollte zur Verbesserung von Chancengleichheit insbesondere einem weiteren Anstieg der Vermögensungleichheit durch eine entsprechende Besteuerung dieser Transfers entgegengewirkt werden.

Bleiben vererbte und verschenkte Vermögen, die für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre auf jährlich 20 bis 25 Milliarden Euro (!) prognostiziert werden, weiterhin unbesteuert, wird sich nicht nur die Vermögensungleichheit der nächsten Generation vergrößern, sondern auch deren Einkommensverteilung - und damit verbunden, wie Kruger eindrucksvoll gezeigt hat, auch deren Chancenungleichheit.

"Migrant" versus "Leistungsträger"

Die von der aktuellen Regierung verfolgte Politik einer "strategischen Polarisierung", wonach für jedes Problem "der Migrant" verantwortlich gemacht und dieser den (vermeintlichen) "Leistungsträgern" gegenübergestellt wird, mag zwar eine erfolgreiche Strategie zur Wiederwahl sein. Sie wird jedoch weder zu einer Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards noch zu höherer Gerechtigkeit beitragen. Zielführende Lösungen werden nur durch eine gründliche Ursachenforschung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zustande kommen. Dies mag zwar ein anstrengender und komplizierter Weg sein, er ist aber unabdingbar zur Herstellung einer gerechteren Gesellschaft.

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