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Der Geist Pinochets schwebt über Chile

Von Martina Farmbauer

Gastkommentare
Martina Farmbauer arbeitet als Journalistin, Reporterin und Autorin von Rio de Janeiro aus für verschiedene deutschsprachige Zeitungen zwischen Wien, Berlin und Zürich. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Die Hoffnungen, die in die zweite Amtszeit von Präsident Sebastián Piñera gesetzt wurden, haben sich bisher nicht erfüllt.


Fast 45 Jahre sind seit dem Staatsstreich in Chile im September 1973 vergangen. 17 Jahre war der Diktator Augusto Pinochet an der Macht. 3000 Menschen sind in dieser Zeit "verschwunden", was eine Umschreibung dafür ist, dass sie ermordet, aber ihre Leichen nicht gefunden wurden. Als der Kongress heuer im April einen Gesetzesentwurf zu Entschädigungen für politische Gefangene diskutierte, beschimpfte der Abgeordnete Ignacio Urutia von der rechten "Unabhängigen Demokratischen Union" aus der Koalition des konservativen Präsidenten Sebastián Piñera die Opfer von Menschenrechtsverletzungen: "Mehr als Exilierte waren sie Terroristen."

Es zeigt einen der üblichen Diskurse zwischen Rechts und Links in Lateinamerika - und den Rechtsruck in Chile nach Piñeras Amtsantritt im März. Der Oberste Gerichtshof hat jüngst fünf wegen Menschenrechtsverletzungen nach 1973 Verurteilte auf Bewährung freigesprochen. Die Ex-Polizisten und -Militärs waren wegen der Beseitigung verschiedener Personen verurteilt worden. Alle fünf waren dabei, ihre Haftstrafen in Spezialgefängnissen abzusitzen. Reue für ihre Taten oder Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer zeigten sie nicht.

Für manche ist das Urteil ein Skandal. Viele haben einen Paradigmenwechsel bei Urteilen über Menschenrechtsverletzungen festgestellt, seit ein einflussreicher Richter, der Präsident der Strafkammer, seine Karriere am 26. Juni beendet hatte. Aber Pinochets Geist schwebt auch noch über Chile, wie die Zeitung "El País" im April titelte, als sich mehrere Ereignisse im Zusammenhang mit dem verstorbenen Diktator und seinem Regime häuften.

Unter der linken Präsidentin Michelle Bachelet, die selbst gefoltert worden war und im Exil in der DDR gelebt hatte, galt das lange, schmale Land zwischen Anden und Pazifik als Musterbeispiel für Demokratisierung. Der Wahlsieg des Unternehmers Piñera, den manche wegen seines Reichtums und seiner Attacken gegen Indigene den "Trump Chiles" nennen, machte Hoffnung auf Wachstum im Land, das auch wirtschaftlich als stabil gilt. Aber er hat auch die Rückkehr zu neoliberaler Wirtschafts- und restriktiver Gesellschaftspolitik bedeutet.

Piñera selbst stimmte beim Plebiszit von 1988, das das Ende der Diktatur bedeutete, mit "No", anders als viele andere Rechte - und einige derjenigen, mit denen er aktuell kooperiert. Seinen Wahlkampf hatte der Milliardär, der bereits von 2010 bis 2014 Präsident Chiles war, noch auf die Mitte ausgerichtet, nun aber besteht sein Kabinett aus Konservativen.

Lateinamerikas Vergangenheitsbewältigung und der Umgang mit den Diktaturen hängen auch stark davon ab, auf welche Weise der Übergang zur Demokratie stattgefunden hat.
In Chile, wo es einen Pakt aus dem Regime heraus gab, war der neue Innenminister Andrés Chatwick ein erklärter Anhänger Pinochets. Er und der neue Justizminister Hernán Larraín waren auch Unterstützer und Verteidiger der vom Pädophilen Paul Schäfer in den 1960ern gegründeten deutschen Enklave "Colonia Dignidad" im Süden Chiles. Hinter idyllischer Fassade fanden dort, geprägt von NS-Gedankengut und Sekteneinflüssen, Missbrauch, Folter und Mord statt. Auch Gegner des Regimes "verschwanden" hier.