Zum Hauptinhalt springen

Muslimische Transformationsreise

Von Kristiane Backer

Gastkommentare

Die zeitlosen Riten des Hadsch haben begonnen, während sich Saudi-Arabien wandelt.


Für viele Nichtmuslime ist der Hadsch eine mysteriöse Massenwallfahrt: Einmal im Jahr umkreisen Millionen Muslime gegen den Uhrzeigersinn einen dunklen Kubus am Rand der saudischen Wüste, wohnen in einem Meer aus weißen Zelten und steinigen symbolisch den Teufel. Für Muslime aber ist der Hadsch die Reise ihres Lebens. Er ist neben Gebet, Glaubensbekenntnis, der Almosengabe und dem Fasten im Ramadan eine der fünf Säulen des Islam. Jeder Muslim, der dazu finanziell und gesundheitlich in der Lage ist, muss einmal in seinem Leben auf Hadsch gehen und eine Reihe von Ritualen auf den Spuren Abrahams durchführen, einschließlich der Umrundung der Kaaba - eines Granitgebäudes, das die heiligste Stätte des Islam ist, das "Haus Gottes". Muslime glauben, dass die Kaaba ursprünglich vor tausenden von Jahren von Adam als ein Haus der Anbetung errichtet und nach ihrer Zerstörung vom Propheten Abraham und seinem Sohn Ismael wiederaufgebaut wurde.

Saudi-Arabien verwaltet nicht nur eine, sondern zwei heilige Stätten des Islam: den Haram Sharif in Mekka mit der Kaaba in seiner Mitte sowie das 430 Kilometer nördlich von Mekka gelegene Medina mit der Großen Moschee, die die letzte Ruhestätte des Propheten Mohammed beherbergt. Die drittheiligste Stätte der Muslime ist die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem.

Vergeben, allen Groll loslassen

Im Arabischen bedeutet das Wort Hadsch "eine Reise beabsichtigen". Aber das ist der Bedeutung nicht angemessen und auch irreführend, denn der Hadsch ist nicht nur eine physische Odyssee und eine Reise direkt zum Herzen des Islam, sondern auch eine Reise zur inneren Transformation: Die Absicht, das Vertrauen und den Gehorsam gegenüber Gott zu stärken und sich an Abraham zu erinnern, der von Gott aufgefordert wurde, seinen Sohn zu töten, und bereit war, Gottes Gebot zu folgen. Hadsch ist die Absicht, zu vergeben und allen Groll loszulassen und Gott um Vergebung am Tag von Arafat zu bitten, wenn mehr als zwei Millionen Pilger vor ihren Zelten stehen und gemeinsam beten. Hadsch ist die starke Entschlossenheit, sich von negativen Einflüssen und Versuchungen zu befreien, indem kleine Kieselsteine auf Steinsäulen geworfen werden, die den Teufel symbolisieren. Letztlich ist der Hadsch die aufrichtige Absicht des Pilgers, sein Herz, die innere Kaaba, zu reinigen, sich Gott zu nähern und neu anzufangen.

All dies ist sicherlich das, was ich mit meiner Teilnahme am diesjährigen Hadsch zu erreichen hoffe. Aber mein Hauptanliegen für die Pilgerfahrt vom 19. bis zum 24. August ist, dass ich meinem lieben Freund und Lehrer, dem Autor und Gelehrten des Islam, Gai Eaton, versprochen habe, die Pilgerfahrt an seiner statt durchzuführen. Er, der mich so viel gelehrt hat, ist leider gestorben, ohne diese Säule des Islam vollendet zu haben. Möge Gott meinen Hadsch für ihn annehmen. Gai Eaton schrieb wundervolle Bücher wie "Islam und das Schicksal des Menschen", "Erinnern an Gott" und "König der Burg", die mich auf meiner eigenen Reise zum Islam tief beeinflusst und inspiriert haben.

Es wird gesagt, dass Gott unseren Hadsch annimmt und uns unsere Sünden vergibt, wenn wir uns danach gemäß Gottes Gebot ändern. Veränderung ist derzeit überall in Saudi-Arabien zu bestaunen. Ich freue mich auf einige der vielen Veränderungen und Entwicklungen seit meinem letzten Besuch im Jahr 2006. In diesem Jahr, 1386 Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm, können muslimische Frauen zum ersten Mal selbst ein Auto nach Mekka steuern, um den Hadsch zu vollziehen.

Saudi-Arabien scheint selbst auf einer Transformationsreise zu sein - mit gravierenden gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Reformen, die das Land modernisieren, seine Wirtschaft diversifizieren und das Königreich als gemäßigte Kraft für Toleranz und Stabilität im Nahen Osten neu positionieren sollen. Kronprinz Mohammed Bin Salman, kurz MBS, hat sein Volk mit seiner "Vision 2030", mit seinen kühnen, schnellen Reformen überrascht, darunter die Wiedereröffnung von Kinos und die Aufhebung einiger Beschränkungen für Frauen. Denn die Frauen sollen die treibende Kraft für die wirtschaftliche Zukunft der Wüstenmonarchie sein, die nicht mehr allein auf Öl und Gas setzen will. Zur gleichen Zeit versuchen König Salman und sein Sohn, der Kronprinz, das Tempo der Reformen sorgfältig zu kontrollieren, um eine konservative Gegenreaktion zu verhindern, die das gesamte Projekt gefährden könnte.

Beim Wandel unterstützen

Hand in Hand mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen weckt Saudi-Arabien unweigerlich Hoffnungen im Ausland, dass das Königreich vielleicht auch ein Minimum an politischen Reformen einführt. Die Veränderungen im Königreich sind zwar noch frisch und erst am Anfang, aber in der arabischen Welt wird der Prozess sehr genau beobachtet. Sollte Saudi-Arabien diesen Reformkurs fortsetzen, könnte es einen Trend zu einer transparenteren Regierungsführung, einer stärkeren Angleichung der Menschenrechte an internationale Standards und zu einer moderateren Interpretation des Islams führen sowie gleichzeitig das uralte Konzept des "Idschtihad" (unabhängiges Denken) wiederbeleben. Diese positive Entwicklung würde langsam in die zahlreichen religiösen Schulen auf der ganzen Welt einsickern und Muslimen zugute kommen, die sich im Westen integrieren und einen weltoffenen Islam im Osten wünschen.

Der Islam ist eine Religion "für alle Zeiten und alle Welten", wie es im Koran steht, dem heiligen Buch der Muslime. Der Islam hat sich seit seiner Gründung kontinuierlich weiterentwickelt, stagnierte jedoch in den vergangenen Jahren in seinen Kernländern. Dennoch ist der Islam die am schnellsten wachsende Religion der Welt geworden, die Frieden, sozialen Zusammenhalt und die Einheit aller Männer und Frauen unter einem Gott predigt.

Und genau das symbolisiert der Hadsch für erneut mehr als zwei Millionen muslimische Frauen und Männer aus allen Teilen der Welt, aus allen Alters- und sozialen Klassen. Sie reisen nach Mekka, um die einmalige Pilgerreise, eine Reise zum geografischen und spirituellen Herzen des Islam und eine Reise der Transformation zum eigenen inneren Herzen und zu Gott selbst zu vollziehen.

Als Verwalter der beiden heiligsten Stätten des Islam ist es gerade in diesen Zeiten der Veränderung Saudi-Arabiens vorrangiges Privileg und auch seine höchste Pflicht und Verantwortung, den ewigen spirituellen Kern des Islam zu schützen. Muslime auf der ganzen Welt haben ein großes Interesse, Saudi-Arabien beim behutsamen Wandel zu unterstützen - im Einklang mit unserer Zeit und auf Gottes Weg, zugunsten von Saudis, Muslimen und der ganzen Welt.

Zur Autorin