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Die Affäre "Diciotti" - eine Herausforderung für Europa

Von Peter Hilpold

Gastkommentare
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Autor von mehr als 250 Publikationen.
© privat

Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik hat - wieder einmal - versagt.


Die Affäre "Diciotti" scheint nun glücklich gelöst zu sein. Die vielfältigen Problemstellungen von zentraler europäischer Relevanz, die sie aufgezeigt hat, bleiben aber nach wie vor bestehen und sie sind drängender denn je. Zwar wollen Albanien und Irland etwa 40 Flüchtlinge aufnehmen, für die übrigen der 137 Bootsflüchtlinge soll das italienische Episkopat aufkommen. Die Gemeinsame Europäische Asylpolitik hat hier allerdings - wieder einmal - versagt.

Gegen Italiens Vizepremier Matteo Salvini, der mit seiner harten Haltung zahlreiche Grundregeln des internationalen, europäischen und möglicherweise auch nationalen Rechts verletzt hat, wird ermittelt. Abseits aller populistischen Intentionen, die hinter seinen unilateralen Maßnahme stehen mögen, muss aber die Grundproblematik für Italien verstanden werden, die dieser Haltung zugrunde liegt: Italien pocht auf eine solidarische Umverteilung der über das Mittelmeer kommenden Flüchtlinge, stößt aber auf taube Ohren. Dabei war eine solche "Quotenregelung" die - leider unausgesprochene beziehungsweise unausformulierte - Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik nach Maßgabe von Dublin III. Die Dublin-III-Regelung sollte bekanntlich das Phänomen der "refugees in orbit" bekämpfen: einen Flüchtlingstourismus quer durch die EU mit mehrfachen Asylanträgen und schließlich einem Verbleib im "bestbietenden" EU-Staat. Festgelegt wurde die grundsätzliche Zuständigkeit des Erstregistrierungslandes für das gesamte Asylverfahren. Dies musste aber notwendigerweise eine nachfolgende Umverteilung der Flüchtlinge implizieren, wenn man verhindern wollte, dass die Mitgliedstaaten insbesondere an den südlichen EU-Außengrenzen zu Hauptdestinationen der Flüchtlingsströme würden, samt nachfolgender völlig ungleicher Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Es wurde aber versäumt, eine solche Quotenregelung in hartes Recht zu fassen.

Italiens neue Regierung hat versucht, diese Problematik mit unilateralen Maßnahmen zu lösen, und die Einbehaltung der Beitragszahlungen an die EU angedroht. Eine weitere klare rechtswidrige Maßnahme, die ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen müsste. Einseitige Maßnahmen unter Verletzung internationaler Regeln scheinen gegenwärtig aber en vogue zu sein, um überhaupt eine Diskussion über festgefahrene, zur Problemlösung partiell untaugliche Regelungen in Gang zu bringen. Hier muss auch die unsolidarische Haltung insbesondere der sogenannten Visegrad-Staaten sowie der baltischen Staaten gerügt werden. Die EU (beziehungsweise davor die EWG) wurde als Solidarverband gegründet, und Solidarität unter Gleichen setzt bekanntlich Reziprozität voraus. Wer Solidarität erwartet, muss sie auch zu leisten bereit sein.

Die Drohungen aus Italien sind zwar rechtswidrig, aber sie könnten auch als Appell verstanden werden, grundlegende europäische Solidaritätsmechanismen wieder herzustellen. Das Migrationsproblem, mit dem die EU konfrontiert ist, muss gemeinsam mit annähernd gleicher Lastverteilung angegangen werden, wenn es einigermaßen erfolgreich angegangen werden soll.