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Wo bleibt die Bürgerebene?

Von Ernst Smole

Gastkommentare

Eine Föderalismusdebatte ohne die Bürgerebene, die Gemeinden, ist wie ein Auto ohne Räder - es bewegt sich nichts. Die "Entstörung" des Schulverwaltungsföderalismus könnte ein Testlauf für weitere Reformen des Föderalismus sein. Den Gemeinden - also der Bürgerebene - kommt künftig eine zentrale Rolle zu.

"Wir als Gemeinde hätten diese Entscheidung innerhalb von drei Wochen getroffen." Der Bürgermeister einer Kleinstadt, Architekt im Hauptberuf, ist nicht für starke Worte, aber für eine bürgernahe und zielgerichtete Amtsführung bekannt. Bei besagter Entscheidung ging um die Direktion des örtlichen Bundesgymnasiums. Es gab zwei schuleigene, ident qualifizierte Bewerber, eine Frau und einen Mann. Das Berufungsverfahren dauerte in Summe sieben (!) Jahre. Der föderale Irrgarten wurde in dieser langen Zeit mehrfach hinauf bis zum Bundespräsidenten und wieder hinunter durchdekliniert. Nach dem Zustand der Schule nach diesen vielen Jahren ohne offizielle Leitung und den Folgen für den Lernerfolg der Kinder braucht wohl nicht gefragt zu werden.

Der bildungsaffine Bürgermeister einer Dorfgemeinde erzählt eine andere Geschichte: "Dieses Hearing für die Leitung unserer Volksschule werde ich nie vergessen. Der durchführungsbeauftragte Beamte des Landesschulrates hatte mir vorab mitgeteilt, dass ich beim Hearing nichts zu suchen hätte. Gnadenhalber durfte ich dann doch als stummer Zuhörer auf der Eselsbank Platz nehmen. Ausgewählt wurde ein Bewerber, der bei seiner Amtseinführung fröhlich bekannte, dass er noch nie mit dem PC gearbeitet habe und dies auch in Zukunft nicht zu tun gedenke - er forderte eine vollbeschäftigte Schulsekretärin, dies natürlich auf Gemeindekosten. Eine solche skurrile Personalauswahl durch Gemeindegremien wäre undenkbar!"

Zufrieden mit der Kommune

Gemeinden erheben periodisch die Zufriedenheit der Bürger mit den örtlichen Serviceleistungen. Die Ergebnisse zeigen einen einheitlichen Trend. Maximale Zufriedenheit herrscht mit jenen Leistungen, die die Gemeinden eigenständig in kontrollierter Autonomie erbringen: Trinkwasserversorgung, Müllabfuhr, Schwimmbad, die unaufgeregt funktionierende kommunale Musikschule. Die Bürgermeister sind bundesweit die Spitzenreiter in der Akzeptanz der Politiker, es folgen die Landeshauptleute, abgeschlagen die Akteure der Bundes- und Europapolitik.

Die größte Unzufriedenheit verursachen dagegen jene Leistungen, die den multiföderalen Irrgarten - Bund, Land, Gemeinde, Sozial- und andere Partner - durchlaufen. Hier dominiert die Schule das Negativ-Ranking, allen Problemen voran die schulische Nachmittagsbetreuung, die den Gemeinden von der Bundesbildungspolitik aufoktroyiert wurde, ohne die nötigen Personalressourcen zur Verfügung zu stellen. Im Kindergartenbereich liegen die Probleme ähnlich.

"Uns fragt ja niemand"

"Wer in Österreich wartet, bis er gefragt wird, der stirbt garantiert ungefragt. Man muss sich aufdrängen und riskieren, dass man zwölf Mal hinausgeworfen wird - beim dreizehnten Mal wird man gehört!" Also donnerte ein Bundesminister in den 1970ern. "Uns fragt ja niemand" gehört auch heute noch zu den häufigsten Jammerphrasen. Dies hört man von Lehrern, die von schlecht vorbereiteten Reformen geplagt werden, aber auch viele Gemeinden äußern sich in dieser Weise, wenn ihnen wieder einmal "von oben" Aufgaben aufgezwungen worden sind, ohne dass die zentralen Ressourcenfragen vorab geklärt worden sind - Kindergarten, Verzicht auf den Pflegeregress, schulische Nachmittagsbetreuung, Arbeitsbeschaffungsprogramme etc.

Auch den Gewerkschaften sind diese Reaktionsmuster nicht fremd. Dort wird gerne betont: "Wir wurden als widerständige Organisationen gegründet - es ist nicht unsere historische Rolle, vorab Vorschläge zu formulieren." Diese Haltung findet man auch an den Unis, Beispiel Deutschförderklassen: Es war bekannt, dass die türkis-blaue Bundesregierung Schwerpunkte im Bereich des Deutschlernens setzen wird, doch man hat universitätsseitig nicht vorab konstruktive Modelle entwickelt und präsentiert, sondern erst einmal abgewartet, was "von oben" kommt, um dann dagegen zu protestieren.

Wer nicht proaktiv "von unten her" agiert, sondern nur reagiert, wird sich stets in der schwachen und undankbaren Position des Verhinderers und Betonierers wiederfinden, der meist nicht gehört wird, denn ein "von oben" in die Welt gesetztes Unheil ist meist nicht mehr zu revidieren. Daher gilt es, durch vorab "von unten" entwickelte, überzeugende Modelle das oft lebens- und wirklichkeitsferne, unheilträchtige Produkt "von oben" erst gar nicht in die Welt kommen zu lassen. Erst wenn diese Umkehr gelingt, wird es echte Subsidiarität geben - und hier ist jede Gemeinde, jede Lehrperson, jeder Landarzt, jeder Bürger in der Pflicht.

Stärkung der "unteren" Ebene

Die Landespolitik wünscht sich sehnlichst konstruktive Ruhe und eine wache, kritische und gestaltungswillige Zufriedenheit der Bürger. So gut wie aller unproduktiver Ärger um die Schule ist nachweislich im überdimensionierten (weil aus k.&k.-Zeiten stammenden) Irrgarten namens "Schulverwaltungsföderalismus" begründet. Dieses Dickicht ermöglicht keinen Durch- und Überblick und erstickt dadurch Bürgerengagement.

Um vom traditionellen "top down" zu glaubhaftem "bottom up" - und damit zu echter, kontrollierter Autonomie auf Bürgerebene - zu gelangen, braucht es:

eine im Interesse der Vergleichbarkeit knappe, begrifflich und inhaltlich klare, allgemeinverständliche Zentralgesetzgebung durch den Bund, eine vom Bund organisierte weisungsfreie, respektvolle und in den Klassen präsente Schulaufsicht und eine wirkungs- und bedarfsorientierte Pädagogenbildung;

die Gemeinde als Bürgerebene, die zentralverantwortlich, kontrolliert und autonom Schule gestaltet;

die Bundesländer als effiziente, hierarchiefreie Servicestellen im Interesse des optimalen Funktionierens der Schulen (Supplierungen, Multiplikation von Best-Practice, stärken- und schwächenorientierte Lehrerfortbildung, sinnstiftende Projekte, internationale Kontakte).

Was braucht es dazu? Nichts, was nicht seit Jahren breit diskutiert wird: einen neuen, zeitgemäßen Finanzausgleich, in Hinsicht auf den Föderalismus das aktive Anerkennen von Fakten und das tätige Bewusstsein der mitten in der Wirklichkeit stehenden Akteure "unten", also der Bürgerebene, dass künftigsie die Lebensrealität prägen werden.

In der Föderalismusdebatte dürfen die Gemeinden nicht übergangen werden.
Das Beispiel Schule zeigt hier anschaulich Probleme auf.

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