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Die Bilder von Chemnitz

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Proben für die "nationale Revolution".


Die Bilder von Chemnitz waren gewissermaßen erwartet. Der Boden war schon vorbereitet. Etwa indem das, was bislang allgemeiner demokratischer Konsens war, langsam zu einer Partei in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden ist. Etwa indem ständig Bürgerkriegsstimmung (mit täglicher Eskalationsstufe) geprobt wird. Vor allem in den social medias. Lange hatte man schon das Gefühl, alle würden sich rüsten. Der emotionale Boden war vorbereitet auf den diese Bilder fielen. Visualisierungen des Erwarteten.

Aber nicht nur das Publikum war vorbereitet. Auch die Rechten, auch die Neonazis waren vorbereitet - und diese nicht nur emotional, sondern auch strategisch. Die Desavouierung der Medien hatte das Feld für Fake News eröffnet. Der schreckliche und bis dato unaufgeklärte Mord an Daniel H. wurde zum Anlass, um mittels wilder Gerüchte ihre Mobilisierung qua Desinformation zu betreiben. Alle Vorbereitungen haben gegriffen. Deshalb war Chemnitz mehr als ein lokales Ereignis, mehr als ein Einzelfall. Es war das Aufbrechen von etwas, was schon lange gärt.

Ausgerechnet vor dem Karl-Marx-Kopf haben sie die alten Bilder nachgespielt mit Nazi-Anleihen und Hitlergruß - geliehene Gesten und geborgte Parolen. Diese Bilder sind heute eingebettet in eine große Erzählung - in die Erzählung von einer "nationalen Revolution".

Diese Erzählung ist getragen von einer Reihe von Allianzen. Die Allianz von Straße und Staat - in Form einer, teilweise, geneigten Polizei (was dieser den Namen #Pegizei eingetragen hat). Aber auch von einer Allianz von Straße und Politik - die heute bis ins Parlament hinein reicht. Die erstaunlichste Allianz aber ist jene, die verbietet, das Chemnitzer Geschehen auf ein Aufeinandertreffen von Rechts- und Linksextremen zu reduzieren. Zu deutlich sah man, dass auf der Straße Normalbürger gemeinsam mit Neonazis marschieren - eine Allianz von "Wut- und Hutbürgern", wie es "Die Zeit" nannte. Der Kitt einer solchen Allianz aber lautet: Rassismus. Dieser ist es, der die Demarkationslinie durch die Gesellschaft zieht. Und eine solche sieht genau so aus, wie das, was man in Chemnitz gesehen hat.

Und Merkels Reaktion - so etwas, Hass, Zusammenrottungen, Hetzjagden, habe keinen Platz "in unseren Städten" - geht seltsam ins Leere in dem Moment, wo sich "so etwas" diesen Platz bereits genommen hat. "Unsere" Städte scheinen - vor allem in Sachsen - nicht mehr "unsere" allein zu sein. Die AfD-Fußtruppen konterten das gezielt, indem sie propagierten: "Diese Stadt gehört uns". Merkels Städte sind nur noch teils Orte des demokratischen Konsenses - sie sind auch Aufmarschgebiete von Demokratiefeinden.

Wenn aber nun so viele nach den Ursachen fragen - Wer ist schuld? Merkel? Die DDR? Die Wiedervereinigung? -, dann muss man diese Frage vehement zurück weisen. Es ist die falsche Frage. Ursachen haben Wirkungen. Aber das, was da in Chemnitz passiert ist, war keine Wirkung, sondern ein Bruch, ein Ausbruch aus solchen Zusammenhängen. Es war eine Enthemmung. Das Sprengen jeder Kausalität. Die richtige Frage wäre deshalb: Wo werden die demokratischen Sicherungen durchgebrannt?