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Gebietstausch am Balkan?

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Die Frage der Grenzverschiebungen zwischen Serbien und dem Kosovo macht einige EU-Staaten mit nationalistischen Minderheiten nervös.


In die seit 2011 laufenden Verhandlungen zwischen Serbien und dem Kosovo über eine endgültige, wechselseitig anerkannte Statusregelung ist nun plötzlich Bewegung gekommen, nachdem dem Vernehmen nach der Serbiens Präsident Aleksandar Vucic und sein kosovarischer Amtskollege Hashim Thaçi einen Gebietstausch angedacht haben: Der mehrheitlich serbisch besiedelte Nordkosovo soll gegen das überwiegend von Albanern besiedelt Preshevo-Tal in Serbien getauscht werden. Implizit damit verbunden wäre eine Reihe von weiteren Konsequenzen, die insgesamt regional und international konfliktbereinigend wirken würden: die Anerkennung des Kosovo durch Serbien, die Aufnahme des Kosovo in die Vereinten Nationen und die Aufnahme Serbiens - und in weiterer Folge wohl auch des Kosovo - in die Europäische Union.

Gegen diesen Gebietstausch äußerten sich allerdings sofort sehr kritische Stimmen: In erster Linie wurde beanstandet, dass eine solche Regelung zu problematischen Grenzverschiebungen und zu einer Grenzziehung entlang ethnischer Linien führen würde, was man im jugoslawischen Konfliktlösungsprozess stets zu verhindern versuchte. Dieser Einwand ist aber nicht wirklich überzeugend: Die Auflösung Jugoslawiens war im Gegenteil sehr stark vom ethnisch-religiösen Element geprägt und gerade für jene Teilrepublik, in der das multi-ethnische Experiment in großem Rahmen fortgeführt wird - nämlich Bosnien-Herzegowina -, ist der Fortbestand alles andere als gesichert.

Autonomie- und Minderheitenschutz

Befürchtet wird vor allem eine Präzedenzwirkung, und zwar in der Form, dass europaweit ethnische Konflikte zu Grenzänderungen führen würden. Nicht von ungefähr kommt deshalb der massivste Widerstand gerade aus Madrid. Spanien gehört im Übrigen mit Griechenland, Rumänien, der Slowakei und Zypern zu jenen fünf EU-Mitgliedstaaten, die den Kosovo noch nicht offiziell anerkannt haben. Aus ähnlichen Überlegungen heraus: Das ethnisch-religiöse Element darf weder zu Grenzverschiebungen noch zur Bildung von Neustaaten in Europa führen.

Dagegen lässt sich aber anführen, dass der Kosovo von der Staatengemeinschaft stets als Sonderfall behandelt worden ist, als Fall "sui generis". Der geplante Gebietstausch würde relativ kleine Territorien betreffen. Sollte die vom Gebietstausch betroffene Bevölkerung dem mit großer Mehrheit zustimmen, wäre einer derartigen Regelung völkerrechtlich kaum etwas entgegenzuhalten. Komplexer würde das Problem dann werden, wenn mit diesem Kompromiss auch ein Bevölkerungstausch verbunden wäre: Um sicherzustellen, dass unheilvolle Episoden der Vergangenheit keine Wiederholung finden, müsste ein solcher Tausch auf absoluter Freiwilligkeit beruhen und mit zahlreichen Garantien verbunden sein.

Überhaupt kann eine solche Regelung nur dann von der EU und der Staatengemeinschaft insgesamt akzeptiert werden, wenn damit Autonomie- und Minderheitenschutzvorkehrungen einhergehen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass kein Gebietstausch an der Multiethnizität Serbiens beziehungsweise des Kosovo etwas ändern kann: Beispielsweise gehören von den rund 1200 in der südkosovarischen Stadt Strpce lebenden Menschen mehr als 95 Prozent der serbischen Minderheit an. Eine Angliederung an Serbien wäre allerdings schon aus geografischen Gründen nicht möglich.

Gut ausgebaute Autonomie- und Minderheitenregelungen könnten überhaupt Grenzverschiebungen erübrigen. Dabei ist aber zu bedenken, dass dieser Gebietstausch primär eine innenpolitische Rolle spielt: Der eigentlich entscheidende Punkt ist nämlich die Anerkennung des Kosovo durch Serbien, und eine solche muss - damit sie nach innen vertreten werden kann - durch "Gegenleistungen" gerechtfertigt werden. Und im Kosovo setzt dies wiederum entsprechende territoriale Gegenleistungen durch Serbien voraus.

Das Kosovo-Problem muss definitiv gelöst werden

Idealerweise müsste also eine Gesamtlösung angedacht werden: territoriale Anpassungen verbunden mit Autonomie- und Minderheitenschutzregelungen und internationalen Garantien, insbesondere durch die EU und die OSZE. Gewiss wäre damit eine enorme Herausforderung für die Staatengemeinschaft im Allgemeinen und für die EU im Besonderen verbunden. Die dafür anfallenden Kosten erscheinen aber verkraftbar im Vergleich zu jenen, die bei einem Scheitern dieser Gespräche anfallen würden.

Das Kosovo-Problem muss nun definitiv gelöst werden. Eine weitere Fortführung des Status quo mit einer Staatlichkeit im Zwielicht und einer halbherzigen Anerkennungspolitik, die weiteren Problemlösungsschritten auf dem Balkan entgegensteht, ist jedenfalls keinem der Beteiligten weiter zumutbar.

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