Zum Hauptinhalt springen

Gemeinsam gegen Trump

Von Daniel Haufler

Gastkommentare

Die Demokratie der USA braucht eine starke Zivilgesellschaft über politische Grenzen hinweg.


Die liberale Demokratie ist vom Niedergang bedroht. Führende Politiker in Ungarn oder Polen missachten schon länger Grundwerte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Und seit vergangenem Jahr tut es ihnen Donald Trump gleich. Sie alle folgen damit einem globalen Trend. Neue Studien zeigen: 40 Regierungen, darunter auch solche aus fortgeschrittenen Demokratien, haben in den vergangenen zwei Jahren den Rechtsstaat beschnitten, und in 50 Ländern wurden politische Freiheiten eingeschränkt.

Zahlreiche Bücher analysieren diese besorgniserregende Entwicklung und suchen ein wenig ratlos nach Wegen zur Rettung der liberalen Demokratie. Oft heißt es dort, die Zivilgesellschaft solle helfen. Sie gilt dabei als emanzipatorisch und progressiv, als Kämpferin für Bürgerrechte und eine offene Gesellschaft. Und tatsächlich haben viele engagierte Bürger in jüngster Zeit dafür gekämpft, die Demokratie und den Rechtsstaat in ihren Heimatländern zu retten. Leider mit recht wenig Erfolg.

Für die Zukunft der westlichen Staaten wird es jetzt entscheidend sein, ob die USA den Angriff Trumps und der Republikaner auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abwehren können. Denn noch nie stand ein Präsident so auf Kriegsfuß mit Justiz und Wahrheit, Menschenrechten und Medien - und hatte dafür den Rückhalt seiner Partei. Selbst Richard Nixons Watergate-Skandal wirkt im Vergleich dazu fast wie ein Bagatelldelikt. Daher wäre es auch in den USA eigentlich Zeit, für eine starke, progressive Zivilgesellschaft aufzustehen.

Relativ schwacher Zentralstaat

Die moderne Zivilgesellschaft hat ihren Ursprung in den USA. Schon der französische Aristokrat und Publizist Alexis de Tocqueville, der Anfang des 19. Jahrhunderts Amerika bereiste, war fasziniert von der dynamischen Zivilgesellschaft: Sie trage wesentlich zu friedlichem Zusammenleben, Demokratie und Selbstorganisation bei. Tocquevilles Beobachtungen wirken sehr aktuell. Und sie helfen, ein strukturelles Problem zu verstehen. Die Demokratie der USA braucht eine starke Zivilgesellschaft, da es nur einen relativ schwachen Zentralstaat gibt. Die Zivilgesellschaft entlastet ihn und stärkt zugleich den sozialen und politischen Zusammenhalt. So immerhin war es lange Zeit, auch wenn regelmäßig Krisen die US-Demokratie erschüttert haben.

Damit die progressive US-Zivilgesellschaft tragend oder gar korrigierend für die Demokratie sein kann, müssen einige wesentliche Voraussetzungen gegeben sein, die seit einer Weile weniger denn je gegeben sind. So lässt sich gegen Fehlentwicklungen nur wirksam protestieren, wenn sich eine starke soziale Bewegung formiert. Davon sind die Amerikaner weit entfernt. Zu uneinig sind sich selbst die Liberalen und Moderaten über so ziemlich alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen vom Waffenrecht über die Gesundheits- und Sozialpolitik bis hin zum Einwanderungs- und Wahlrecht.

Auf der anderen Seite des Spektrums organisiert sich schon lange der konservative und restaurative Teil der Zivilgesellschaft - inklusive rechtsextremer Gruppen - immer besser. Ein gutes Beispiel dafür ist die Waffenlobby-Organisation NRA. Als 1968 nach den politischen Morden an John F. Kennedy, Martin Luther King und Robert Kennedy das Waffenrecht verschärft wurde, modifizierte die NRA ihre Rhetorik mit Bezug auf den zweiten Verfassungszusatz: "Da eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." Bis dahin war dieser Zusatz nicht auf Zivilisten bezogen worden. Die NRA erklärte ihn nun erfolgreich zu einem Grundrecht für Amerikaner, zu einem Wesensmerkmal amerikanischer Identität - und damit war, unausgesprochen, eine weiße Identität gemeint.

Auflösung bei den Demokraten

Gleichzeitig reagierten die Konservativen in den USA auf die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, die den Rassismus in den USA überwinden wollte, mit der "Southern Strategy". Sie sollte weiße Wähler für die Republikaner gewinnen, anfangs vor allem, wie der Name sagt, in den Südstaaten, wo bis dahin konservative Demokraten politisch dominierten. Es ist ein Wendepunkt in der politischen Geschichte der USA. Seither hat die Republikanische Partei sich kaum für Schwarze oder andere Minderheiten engagiert und diese dementsprechend als Wähler verloren. Im Gegenzug gewannen sie bei Wahlen fast durchgängig die Südstaaten - dank ihrer weißen Mehrheit.

Präsident Lyndon B. Johnson war sich des Umbruches bewusst, als er die Bürgerrechte und die große Sozialgesetzgebung (Great Society) sowie eben das Schusswaffenkontrollgesetz durchsetzte. Bis dahin waren die Demokraten über lange Jahr die "big tent party" (in etwa: Volkspartei) gewesen, die sowohl liberale Großstädter, Gewerkschafter und migrantische Minderheiten als auch konservative Kleinstädter und Farmer beheimatete. Nun löste sich dieses Bündnis allmählich auf.

Etliche Soziologen und Politologen legen mittlerweile überzeugend dar: Die Spaltung der US-Gesellschaft existiert im Prinzip schon immer - aufgrund des Rassismus. Nur solange die Weißen die große Mehrheit stellten, solange sie Schwarze als Sklaven halten oder danach dank der rassistischen Jim-Crow-Gesetze unterdrücken und ausbeuten konnten, waren die Parteien weniger ideologisch. Seit jedoch die Demokraten sich der Gleichstellung der Schwarzen und anderer Minderheiten verschrieben haben und die Republikaner der "Southern Strategy", hat sich die gesellschaftliche Spaltung auf die beiden Parteien allmählich übertragen. Deren Polarisierung hat wiederum auch die Polarisierung der Gesellschaft verstärkt. Potenziert wird dies zunehmend durch die Medien, vor allem die Sozialen Medien, die obendrein von mächtigen Interessengruppen, teils sogar von anderen Staaten (etwa Russland) manipuliert werden.

Höhepunkte dieser Polarisierung waren zwei hochsymbolische Ereignisse: der Wahlsieg Barack Obamas, auch dank einer zivilgesellschaftlichen Graswurzelbewegung, die stark von Minderheiten getragen wurde - und als Reaktion jener Trumps, den weit weniger die eigene Partei als vielmehr eine zivilgesellschaftliche Bewegung ins Amt katapultierte. Sie hat ihre Wurzeln in der Tea-Party-Bewegung, die sich 2009 gegen Obamas Gesundheits- und Sozialreformen formierte, geht aber deutlich darüber hinaus.

Bürger versus Establishment

In jedem Fall haben engagierte Bürger mehr gegen als mit dem Partei-Establishment den politischen Wandel bewirkt. Und diese gegnerischen, ja fast verfeindeten zivilgesellschaftlichen Gruppen stehen einander auch jetzt, vor den anstehenden Zwischenwahlen, unversöhnlich gegenüber. Sie werden sich auf absehbare Zeit nicht über wesentliche Grundwerte der Gesellschaft oder eine Vorstellung von amerikanischer Identität verständigen können.

Die USA sind so gesehen ein hervorragendes Beispiel für die Grenzen politischen Engagements einer progressiven und emanzipatorischen Zivilgesellschaft. Die Bürger sind in dieser Konstellation so fern davon, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, wie ihre politischen Repräsentanten, deren öffentliches Ansehen zudem so gering ist wie nie zuvor. Das Paradoxe ist jetzt: Die Zivilgesellschaft kann Veränderungen nur erreichen, wenn sie sich für Kandidaten einer politischen Partei einsetzt. Derzeit kann das nur die Partei, die wenigstens noch versucht, die Vereinigten Staaten als das zu begreifen, was der Name des Landes verspricht.

Ob die Demokraten jedoch reüssieren, ist durchaus zweifelhaft, da das Vertrauen in das politische System in den USA stark erodiert ist. Und das gilt leider für beide Seiten. Nur: Wenn vernünftige und rationale Bürger und Politiker nicht bald gemeinsam die Trump-Ära beenden, wird am Ende ein bitterer Aphorismus von Friedrich Nietzsche die Lage der USA treffend zusammenfassen: "Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."

Zum Autor