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Hilfe durch faire Strukturen

Von Hans Holzinger

Gastkommentare

Ein Plädoyer für eine seriöse Debatte über Afrika und die Rolle des demokratischen Westens.


"Wenn Menschheitskatastrophen, deren Ausmaße gegenwärtig nur als Albträume vorstellbar sind, verhindert oder wenigstens gemildert werden sollen, dann wird es nicht mehr genügen, jene Welt, die auch nach der jüngsten Zählung immer noch die Dritte heißt, mit lächerlichen Almosen zu bedenken, sogenannten Entwicklungshilfen, die in Wahrheit über raffinierte Finanzierungsinstrumente zumeist doch wieder auf europäische Konten zurückfließen, sondern dann müsste der Reichtum dieser Welt endlich und tatsächlich gestreut werden, nicht in Form von Almosen, sondern von menschengerechteren Löhnen und gerechten Preise." Also sprach der Schriftsteller Christoph Ransmayr in seiner Rede zur Verleihung des Würth-Preises für Europäische Literatur 2018, in der er an die blutigen Verbrechen europäischer Kolonialmächte in Afrika sowie deren Fortwirken bis heute erinnerte.

Ganz anders ist das Afrika-Bild der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Salzburger EU-Abgeordneten Claudia Schmidt, die in einem Facebook-Posting ihrer Wut über die uns fremde, nämlich leistungsfeindliche afrikanische Kultur freien Lauf ließ. Die Politikerin musste sich öffentlich für ihre rassistisch-pauschalierenden Unterstellungen entschuldigen, das Posting löschte sie umgehend. Das Thema Afrika bleibt aber, und es sollte uns in Europa in der Tat interessieren.

Selbstgemachte und fremdverschuldete Probleme

Afrika ist ein bunter und vielfältiger Kontinent, in dem keineswegs alles nur schlecht läuft. Doch es gibt Probleme - selbstgemachte und fremdverschuldete. Und wie politische Probleme nie mit moralisierenden Zuschreibungen zu erklären sind, gilt es auch in Bezug auf Afrika die strukturellen Hürden in den Blick zu nehmen. Jean Ziegler (Buchtipp: "Verändere die Welt", München 2016), früherer UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und nunmehrige Berater des UN-Menschenrechtsausschusses, spricht von einer "misslungenen Dekolonisation", die bisher eine wirkliche Nation-Werdung verhindert habe.

Dafür gebe es mehrere Ursachen: zum einen die koloniale Aufteilung des Kontinents ohne Berücksichtigung ethnischer Aspekte; zum anderen den Afrikas Gesellschaften bestimmenden Tribalismus, den politische Führer ausnutzen, um für sich Stimmung zu machen. Der Traum von der panafrikanischen Einheit ist leider trotz aller Versuche, etwa über die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), bisher gescheitert: Ziegler nennt Afrika mit seinen 54 Staaten den am stärksten zersplitterte Kontinent des Planeten.

Dazu kommt die Fortführung kolonialer Strukturen. Multinationale Konzerne beuten Afrikas Rohstoffe billig aus, und dafür brauchen sie willige Potentaten, die an der Ausbeutung beteiligt werden. Ziegler spricht von der "Abschöpfung staatlichen Mehrwerts" - man könnte es auch Kleptokratie oder Feudalrente nennen. Einige Beispiele: Guinea verfügt über ein Drittel der Bauxit-Reserven des Planeten, beim UNDP-Human-Development-Index (HDI) liegt das Land jedoch an 182. Stelle von 188 Staaten. Niger rangiert gar an vorletzter Stelle in diesem Entwicklungsranking, trotz des zweitgrößten Uranvorkommens weltweit. Nutznießer sind Konzerne und nationale Eliten. Bekannt sind die reichen Erdölvorkommen Nigerias (152. Stelle im HDI-Ranking). Die Erträge aus den Schürfrechten streicht - wie in Afrikas zweitgrößtem Ölproduzenten Angola (Rang 149) - die Führungsclique des Landes ein. Ein Skandal neben den ökologischen Zerstörungen durch den Ölmulti Shell, der den Umweltaktivisten und Literaturnobelpreisträger Ken Saro-Wiwa am Gewissen hat.

Geldflüsse aus den ärmsten Ländern unterbinden

Auch mit landwirtschaftliche Produkten kann man sich bereichern. Die Bauern im Senegal (Rang 170 im HDI) bekommen für ihre Erdnüsse ein Achtel des durchschnittlichen Weltmarktpreises. Staatliche Einrichtungen des Senegal kaufen die Erdnüsse auf und streichen den Mehrwert ein. Der Abbau von Coltan für unsere PCs und Handys sowie jener von Rohdiamanten, die trotz offizieller Kontrollen noch immer am Schwarzmarkt gehandelt werden, wären weitere Beispiele.

Ein Drittel der Bevölkerung in Afrika hungert. Zugleich gibt es laut "Forbes"-Magazin mittlerweile 26 Dollar-Milliardäre. Laut einer Studie der NGO Global Financial Integrity zu Korruption, Schmuggel, organisiertem Verbrechen und Steuerflucht sind durch anonyme Scheinfirmen, undurchsichtige Steuerparadiese und kommerzielle Geldwäsche allein im Jahr 2011 fast eine Billion Dollar aus den ärmsten Ländern der Welt geflossen. Die Unterbindung dieser Geldflüsse sowie die Abkehr von der Kooperation mit Diktatoren - auch wenn sie pseudodemokratisch gewählt sind - einschließlich der Unterbindung des Abzugs von Rohstoffprofiten durch Konzerne wäre ein wirksamer Weg, Entwicklung in Afrika zu unterstützen.

Strukturelle Änderungen statt Almosen der Entwicklungshilfe

Die Kritik am bisherigen System der Entwicklungshilfe wird lauter. Jason Hickel ("Tyrannei des Wachstums", 2018) von der London School of Economics fordert die Abkehr vom "Wohltätigkeitsparadigma": Statt Spenden für die Armen zu sammeln, Großzügigkeiten von Reichen durch diverse Stiftungen und Peanuts staatlicher Entwicklungshilfe brauche es politische Änderungen: faire Handelsbedingungen, die Beendigung der Subventionierung der Agrarexporte in die Länder des Südens, freien Zugang zu Wissen, was etwa eine Reform des Patentwesens bei Medikamenten und Saatgut erfordern würde, sowie die Abkehr von der Schuldknechtschaft. Angeregt werden Schuldenboykotte beziehungsweise der Abgleich mit den CO2-Klimaschulden der reichen Länder gegenüber den ärmeren.

Den Sinn von Entwicklungshilfe bezweifelt auch der Innsbrucker Wirtschaftshistoriker Josef Nussbaumer ("Hoffnungstropfen", 2017): Die größte Hilfe wäre es, wenn wir die armen Länder über weite Strecken in Ruhe ließen und nicht daran hinderten, was sie tun möchten. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen europäischer mit afrikanischen Staaten hätten Entwicklung eher behindert als gefördert, meint Klaus Schilder ("Die Freihandelsfalle", 2018) vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor Berlin. Zu ungleich seien Chancen und Risiken verteilt, zu asymmetrisch die politischen Verhandlungsgewichte, zu übermächtig die europäischen Wirtschaftsinteressen.

Zweifel an Rezepten zur Eindämmung der Migration

Andere wiederum wie die Global Marshall Plan Initiative fordern nicht weniger, sondern bedeutend mehr Entwicklungshilfe. Dies jedoch in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Eine Praxis, die in der nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit von NGOs bereits gut funktioniert. Im Zusammenhang mit den UN-Entwicklungszielen zur Abschaffung von Hunger und Armut bis 2030 wird ein Global Goals Fund vorgeschlagen. Gespeist aus einer globalen Abgabe aller Länder von jeweils 1 Prozent ihres BIPs, ergäbe dies 800 Milliarden Dollar jährlich - die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben. Die NGO Terra fordert einen globalen Mindestlohn von 1 Dollar pro Arbeitsstunde, was unsere Produkte kaum verteuern, die Lebensbedingungen in den Ländern des Südens aber stark verbessern würde.

Die Hoffnung, mit Entwicklungshilfe Migration einzudämmen - so die Sichtweise etwa der EU-Staaten -, wird in der Entwicklungsforschung angezweifelt. Auf den Weg machen sich jene, die sich die Schlepper leisten können, nicht die ganz Armen. Als Treiber gilt der Bevölkerungsdruck. Andererseits machen laut der Migrationsexpertin Gudrun Biffl Rücküberweisungen von Migranten mittlerweile mehr aus als die weltweite staatliche Entwicklungshilfe. Und die Migrationsländer mit High-Tech-Grenzschutzequipment auszustatten, um weitere Flüchtlinge abzuhalten, ist zynisch. Die Berliner "taz"-Journalisten Christian Jakob und Simone Schlindwein ("Diktatoren als Türsteher Europas", 2017) bringen das Dilemma auf den Punkt: "Von geschützten Grenzen und der Öffnung der Märkte träumt die EU. Von geschützten Märkten und offenen Grenzen träumt Afrika." Solange dieses Interessendilemma nicht gelöst ist, wird es keine echte Partnerschaft geben.

Erinnern wir uns an die große Auswanderungswelle aus Europa ab dem späten 19. Jahrhundert, als das Bevölkerungswachstum rasch zunahm und die wirtschaftliche Entwicklung damit nicht Schritt halten konnte. Ähnlich ist die Lage nun in Afrika. Es geht nicht um eine Politik der offenen Grenzen - diese wäre gar nicht sinnvoll und würde jede Gesellschaft überfordern, aber darum anzuerkennen, dass Migration ein wirksames Mittel für Entwicklung darstellen kann. Entwicklungszusammenarbeit ist deswegen nicht obsolet. Doch sie muss in Selbstermächtigung und Selbstorganisation der Menschen investieren - und in Bildung sowie in den Aufbau demokratischer Organisationen und Medien.

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