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Grenzenlose Kooperationen?

Von Peter Bußjäger

Gastkommentare

Gemeindefusionen können meist nicht die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen. Darum setzt man in Österreich eher auf Kooperationsmodelle. Das Problem dabei: Politische Legitimation geht verloren.


Die durchschnittliche Gemeinde ist mit der Entwicklung ihrer Aufgaben in vielen Fällen überfordert. Die von den Bürgerinnen und Bürgern erwartete und von den Verwaltungsgerichten eingeforderte Qualität der Dienstleistungen verlangt ein Ausmaß an Spezialisierung, die Gemeinden unter etwa 10.000 Einwohnern unter Druck setzt. Die Antwort in verschiedenen Ländern Europas wie Deutschland, Dänemark und der Schweiz waren Gemeindefusionen. In Österreich hat die Steiermark 2015 diesen Schritt gesetzt, während die anderen Bundesländer weitgehend zurückhaltend blieben.

Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse warnen vor Euphorie: Die 2017 publizierte Studie der beiden deutschen Ökonomen Sebastian Blesse und Felix Rösel ("Was bringen kommunale Gebietsreformen?") gelangt zur Schlussfolgerung, dass Gebietsreformen zwar Effizienz- und Einsparpotenziale der kommunalen Verwaltung heben sollen, die Evaluierung aber nur in wenigen Fällen die beabsichtigte Wirkung belegen kann. Wörtlich heißt es:

"Die Ergebnisse aus den Studien, die wir hier betrachtet haben, deuten darauf hin, dass Skaleneffekte durch Gemeindevergrößerungen in der öffentlichen Verwaltung eine untergeordnete Rolle spielen
(. . .) Vergrößerte Gebietsstrukturen laufen insofern weitgehend ins Leere, wenn das Ziel darin besteht, einem voraussichtlichen Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken.

Die zunehmende Komplexität im Verwaltungshandeln sowie der steigende Mangel an Fachkräften im Öffentlichen Dienst sprechen indes punktuell für größere Einheiten in einzelnen Aufgabenfeldern. Interkommunale Kooperationen, die je nach Bedarf gebildet und wieder gelöst werden können, bieten eine geeignete institutionelle Basis dafür. Ob sie jedoch auch die Ziele erreichen können, die man sich gesetzt hat, ist bisher weitgehend unbekannt. Ihre Effekte sind wissenschaftlich unzureichend dokumentiert und erforscht."

Es empfiehlt sich also, die Gemeindekooperation stärker ins Blickfeld zu rücken. Der Vorteil einer Kooperation gegenüber der Gemeindefusion ist ihre Flexibilität: Was bringt es, zwei Kleingemeinden mit etwa 1000 Einwohnern zu einer größeren Gemeinde mit 2000 Einwohnern zu verschmelzen? Sie ist danach noch immer zu klein, um den zunehmenden Anforderungen von Bürgern und Unternehmen an "ihre" Gemeinde gerecht zu werden.

Innovative Gemeindekooperationen können die Region, Talschaften mit teilweise jahrhundertelanger Tradition, neu entdecken. In diesen Kooperationsräumen ist es möglich, dass von den beteiligten Gemeinden Dienstleistungen organisiert werden, die den modernen Anforderungen entsprechen: Krankenpflege, Pflegeheime, Musikschulen, aber auch Kinderbetreuung.

Vorarlberg als Vorreiterin Sachen Kooperationen

Eine besondere Innovation in Sachen Gemeindekooperationen sind in Vorarlberg die gemeinsamen Bauverwaltungen in verschiedenen Regionen. Die erste Einrichtung dieser Art, die Bauverwaltung Großes Walsertal, war ein Pionier in Österreich.

Als das Modell 2004 in einer Veranstaltung des Österreichischen Gemeindebundes und des Instituts für Föderalismus in Wien vorgestellt wurde, war das ungläubige Staunen unter vielen damals anwesenden Bürgermeistern groß, dass es möglich sein soll, ein Bauamt für mehrere Gemeinden zu schaffen. Mittlerweile wird das Instrument immer beliebter.

Die scheinbar grenzenlose Flexibilität von Gemeindekooperationen hat freilich auch strukturelle Nachteile. Zunächst trifft der Befund von Blesse/Rösel, den beiden deutschen Ökonomen, wonach Gemeindekooperationen noch wenig erforscht sind, zu.

In Österreich mangelt es vielerorts bereits an den Datengrundlagen. Zahl und Art der Gemeindekooperationen sind weitgehend unbekannt, es herrscht auch ein gewisser Wildwuchs, der dadurch bewirkt wird, dass es meist dem Belieben der Gemeinden überlassen wird, in welcher Weise sie kooperieren. Erst allmählich gehen die Länder dazu über, im Wege der Förderungen steuernd einzugreifen und Subventionen für Infrastrukturen mit dem Willen zur interkommunalen Gemeindezusammenarbeit zu verknüpfen.

Die Unübersichtlichkeit der Gemeindekooperationen wird besonders auch für die beteiligten Gemeinden zum Problem: Wenn sich die Gemeindeverwaltung zunehmend auf Gemeindeverbände, Verwaltungsgemeinschaften, ausgegliederte Gesellschaften und Vereine auslagert, welche Möglichkeiten haben dann noch die Gemeindeorgane, die Tätigkeit der Gemeinde tatsächlich wesentlich mitzubestimmen? Dies betrifft vor allem den Gemeinderat, das "Gemeindeparlament".

Zwar hat der Bürgermeister dem Gemeinderat für seine Tätigkeiten in der Gemeindekooperation Rede und Antwort zu stehen, doch die Hoheit des Gemeinderates über die politische und finanzielle Gestaltung der Gemeinde ist in vielen Fällen nur noch formal vorhanden. Inhaltlich können die Gemeinderäte immer weniger steuernd eingreifen.

Gemeindeamt für mehrereGemeinden als Lösung

In der demokratisch sensiblen Schweiz ist die Unübersichtlichkeit von Gemeindekooperationen für Gemeindeparlamente und Stimmbürger beispielsweise als ein wesentlicher Nachteil identifiziert worden. Und außerdem: Welchen Sinn hat es, die Eigenständigkeit einer Gemeinde aufrecht zu erhalten, wenn sie sich förmlich zu Tode kooperiert?

Als Fazit bleibt festzuhalten: Die Gemeindekooperation ist für kleinere Gemeinden nach wie vor die einzige Alternative zur Gemeindefusion, die ihre Versprechen häufig nicht einzulösen vermag. Die reduzierte demokratische Legitimation und die Unübersichtlichkeit von Gemeindekooperationen sind jedoch nicht weg zu leugnende Baustellen eines an sich wichtigen und vorteilhaften Instruments.

Die Probleme können dadurch eingegrenzt werden, dass die Gemeindeorgane neue Kooperationen genau auf Synergien und Sinnhaftigkeit prüfen, ihre bestehenden Kooperationen durchleuchten und gegebenenfalls Bereinigungen vornehmen und ihren Informationsstand über die laufenden Aktivitäten in der Gemeindezusammenarbeit verbessern. Als mittelfristiges Ziel sollte das verschiedentlich bereits verwirklichte gemeinsame Gemeindeamt für mehrere Gemeinden angestrebt werden. Dadurch könnte nämlich eine Verstrickung in allzu heterogene Kooperationen vermieden werden.