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Viel mehr als nur Hoffnung

Von Florian Unterberger

Gastkommentare

Die Kirche ist zumindest in einigen Bereichen weniger reformresistent, als ihr oft vorgehalten wird.


Weltfremd und gefühllos - diesem Vorwurf setzt man sich wohl zu Recht aus, wenn man von der laufenden Jugendsynode im Vatikan nicht zuallererst eine Lösung für die erschütternde Missbrauchsproblematik einfordert. Dürfte doch die jüngste Studie der Deutschen Bischofskonferenz - trotz aller methodischer Angriffspunkte - zwei Befürchtungen bestätigen: Das Problem mag zwar inzwischen deutlich reduziert sein, gelöst ist es aber beileibe nicht. Und: Die kirchlichen Besonderheiten scheinen die Anfälligkeit für Missbrauch signifikant zu erhöhen.

In dieser Situation zur Tagesordnung überzugehen, wäre ein zweiter Verrat an den unzähligen Opfern. Doch dafür kurzfristig die Anliegen aus der Befragung hunderttausender Jugendlicher auf der ganzen Welt vom Tisch zu wischen, macht die Situation nicht besser. Dem Thema Missbrauch eine eigene Versammlung zu widmen, ist deshalb wohl der ehrlichere Weg, als die Jugendsynode abzusagen.

Dass das Treffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen erst für Februar 2019 angesetzt wurde, wirkt auf den ersten Blick wie eine skandalöse Verzögerungstaktik. Auf den zweiten Blick könnte das aber genau jene Zeitspanne sein, die eine schwerfällige Institution wie die Katholische Kirche benötigt, um für die tiefgreifenden Veränderungen bei den Themen Klerikalismus und Zölibat bereit zu sein, die sich jetzt hoffentlich nicht mehr aufhalten lassen. Dass es gewonnene und keine verlorenen Monate werden, dafür werden nicht nur die Medien sorgen - sondern auch die innerkirchlichen Reformkräfte.

Auf die Frage anlässlich der Jugendsynode, welche Wünsche denn junge Menschen an die Kirche hätten, kamen mir spontan die Anliegen in den Sinn, die ich vor 17 Jahren auf einer Bühne vor dem Stephansdom formulieren durfte. Was mich selbst überrascht hat: Bei allen Anliegen von damals gibt es substanzielle Fortschritte oder zumindest Anzeichen der Hoffnung. Die allseits wahrgenommene Reformresistenz der Katholischen Kirche hält zumindest in diesen Bereichen einer ehrlichen Analyse nicht stand.

Raus aus den Schlafzimmern, raus aus dem Elfenbeinturm

Der erste Wunsch lautete: Raus aus den Schlafzimmern. Als Chef der Glaubenskongregation hatte Kardinal Joseph Ratzinger in den 1990ern die Sexualmoral zum dominierenden kirchlichen Thema gemacht. Es ist fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass er später als Papst Benedikt XVI. wieder die eigentliche Kernbotschaft des Christentums in den Mittelpunkt stellte: "Gott ist die Liebe!" Und was Benedikt XVI. verkündete, lebt Papst Franziskus jetzt authentisch vor.

Der zweite Wunsch: Raus aus dem vatikanischen Elfenbeinturm. Die Menschen waren noch nie so gebildet wie heute, noch nie war es so wichtig, auf den Glaubenssinn der Menschen zu hören. Papst Franziskus ist dabei, eine radikale Wende weg von einer zentralistischen hin zu einer synodalen Kirche zu vollziehen. Bei den regelmäßigen Versammlungen wird jetzt nicht nur bis zur Schmerzgrenze offen diskutiert, über weltweite Befragungen und Delegierte werden auch Laien intensiv eingebunden. Zum ersten Mal habe ich den Eindruck: Die Kirche hört hin, um zu verstehen - und nicht, um zu antworten. Wenn sich diese Haltung bis in die Diözesen durchschlägt, ist der wichtigste Schritt zur Zukunftsfähigkeit der Kirche getan.

Schluss mit weltfremdem Klerikalismus, Mut zur Vielfalt

Das führt unmittelbar zum dritten Wunsch: Schluss mit dem weltfremden Klerikalismus. Die Vorstellung, mit der Priesterweihe würde nicht nur eine seelsorgliche Begabung, sondern auch ein Talent für Mitarbeiterführung, Pfarrfinanzen oder Organisationsentwicklung einschießen, ist einfach absurd. Dieser Klerikalismus verhindert nicht nur optimale Ergebnisse, er vertreibt auch die begabtesten Mitarbeiter. Nutzen wir die Talente von Laien und geben ihnen echte Leitungsverantwortung - und entlasten wir gleichzeitig die Priester von diesem krankmachenden Universalgenieverdacht. In der Wiener Diözesanreform sind erste Ansätze zu einem Umdenken erkennbar - aber ob man sich auch über die Realisierung drübertraut, ist noch sehr ungewiss.

Der letzte Wunsch: Mut zur Vielfalt. Wenn die "alte Messe" wieder zulässig ist, warum dann nicht endlich auch wirklich moderne Messen? Es gibt so viele Möglichkeiten, Gottes Liebe zu feiern, wie es Menschen gibt. Wenn wir uns einig sind in dem, was wir feiern, können wir uns auch viel mehr Vielfalt trauen, wie wir feiern. Der Erfolg der Event-Gottesdienste "Find Fight Follow" hat gezeigt, dass man mit einer zeitgemäßen Liturgie ein Vielfaches an Menschen spirituell berühren könnte. Es wird Zeit, dass diese mutigen Aufbrüche nicht nur stillschweigend gutgeheißen werden.