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Nicht Zäsur, sondern Rechtsruck in Bayern

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Der Jubel der Gegner über eine CSU-Schlappe verdeckt die Zunahme des rechten Lagers in Bayern von 56,3 auf 59 Prozent.


Ob Wählerstromanalysen Minuten nach Vorliegen der zweiten oder dritten Hochrechnung als wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse passieren dürfen, hat noch keiner überzeugend festmachen können.
Zu bilanzieren ist nur, dass sie für bare Münze genommen werden. Und zwar nicht nur von den Vortragenden aktiv, sondern auch von den betroffenen Parteipolitikern passiv. Das erstaunt da, wo diese Praxis den betroffenen Politikern Schwachstellen ausweist.

Nimmt man sie im Fall der Wahl in Bayern ernst, hat den bunten Pfeilen von ARD und ZDF zufolge Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im letzten Augenblick 230.000 Nichtwähler für seine Partei in Bewegung setzen können. Interessant! Gleichzeitig soll er 200.000 Stimmen an die Grünen verloren und 40.000 von der SPD gewonnen haben, während w eitere 200.000 von der CSU zu den Erstlingen der AfD wechselten. Eine Zahlenmagie, die sich am Ende immer ausgeht und präsentiert wird, als ob die abgegebenen Stimmzettel in verschiedenen Farben tatsächlich ein Mascherl hätten und jedes davon in wenigen Minuten gezählt und zugeordnet worden wäre.

Da kann schon das Wesentliche übersehen werden. Zum Beispiel, dass der Wahlausgang nicht nur eine ordentliche Tracht Prügel für die CSU war, sondern gleichzeitig ein gehöriger inhaltlicher Rechtsrumps. In Zahlen ausgedrückt, bleibt Bayern nach der Arithmetik da, wo es seit Dezennien steht: auf dem schwarzen Feld Mitte-rechts bis rechtsaußen. Mit insgesamt 59 Prozent für CSU, Freie Wähler und AfD ist dieses Feld gegenüber den 56,3 Prozent für CSU und Freie Wähler bei der Wahl 2013 sogar größer geworden. Knapp 3 Prozentpunkte mehr rechtfertigen per se noch nicht, von einem Ruck nach rechts zu sprechen, aber ein solcher ergibt sich inhaltlich.

Wenn aus 46,5 Prozent bei den vergangenen Landtagswahlen 37,2 Prozent für die CSU und 10,2 Prozent für die AfD werden, braucht es keine Wählerstromanalyse, um herauszufinden: Die ganze Kulisse hat sich nach rechts verschoben. Und wenn Kommentatoren von Söder "kein ‚Weiter so‘" fordern oder es zumindest empfehlen, wirft das Fragen auf. Kein "Weiter" mit dem Kurs der vergangenen viereinhalb Jahre der Legislaturperiode oder dem des Wahlkampfes, der rechts keinen Millimeter mehr frei ließ? Der Behauptung, das hätte Wähler der Mitte zu den Grünen abwandern lassen, hält Söder mit Fug und Recht entgegen, es habe Hunderttausende am rechten Rand bei der Stange gehalten. Dass der Geschlagene sein Heil in dem sieht, was er die vergangenen sechs Monate praktiziert hat, erscheint wahrscheinlicher.

Die Freien Wähler lassen erkennen, dass ihnen alles recht ist, solange daraus eine Zweierkoalition mit der CSU wird. Wie sie auf Dauer südlich der Weißwurstgrenze gegen das Vergessenwerden kämpfen werden, ist schwer abschätzbar. Uneins sind sie als "bessere CSU" (ihr Eigenlob) mit der echten nur beim Ausbau des Münchner Flughafens und beim Kleingedruckten zu einem Einwanderungs- und Asylgesetz.

Keinen Rechtsruck per se bedeutet die Halbierung der SPD. Denn um diese im Ist-Zustand als links einzuordnen, fehlt dem Betrachter die Fantasie.