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Das Fundament der Demokratie

Von Wolfgang Glass

Gastkommentare

Vieles ist unübersichtlicher geworden - Medienkompetenz kann helfen.


Früher war auch nicht immer alles besser, genauso wie der gesunde Menschenverstand auch nur der Spiegel der Vorurteile seiner Zeit ist. Doch es gibt durchaus wesentliche Änderungen zu früher (also circa vor dem Jahr 2000, bevor Digitalisierung, respektive Vernetzung ordentlich zugeschlagen haben). Da wäre erstens die Schnelligkeit - noch nie haben sich Meldungen so schnell verbreitet. Auch gibt es, in Relation zur Menge an Meldungen, viel weniger Filter, die beispielsweise Zeitungsredaktionen oder Presseagenturen übernehmen.

Die fehlenden Filter sollten eigentlich durch die Menschen aufgefangen werden, die aber allesamt keine Ausbildung (Stichwort: Medienkompetenz) haben. Auch wenn man nicht immer alles gelehrt bekommen muss, um es anwenden zu können - da geht es nicht um ein Wissen von spezifischen Gesellschaftsschichten, sondern eben um die gesamte Gesellschaft. Insofern ist es schon tragisch, wenn einerseits immer mehr politische Teilhabe gefordert wird, der Bürger sich aber nicht argumentativ fundiert mit Wissen ausstatten kann, weil er die Masse an Information nicht kanalisieren und bewerten kann.

Die Wahrheit ist tot

Manipulation und Verzerrung gehörten schon immer zum Nachrichtengeschäft - das ist nichts Neues. Aber durch die Schnelligkeit und mediale Möglichkeit der bildlichen Darstellung, immer und überall (Videoscreens in der Öffentlichkeit, Smartphones, Gratiszeitungen, etc.) Stimmungen zu produzieren, entsteht heute viel schneller eine Hysterie die selbst den vielzitierten Hausmeister vom Stammtischweisen zum Celebrity einer medialen Bewegung werden lässt. Eines ist heute klarer geworden: Die Wahrheit ist tot - es kommt aber immer auch auf die Sichtweise an.

Heute existieren mehrere Fundamentalismen, während früher, vor allem zu Zeiten des Kalten Kriegs, mehr Ideologien vorherrschten. Heute gibt es religiöse oder ethnisch motivierte Fanatiker und auch politisch korrekte Fundamentalisten. Sie alle verfälschen Argumente. Es gibt keine Wahrheit mehr, alles wird ad absurdum geführt, weil die Protagonisten der jeweiligen Glaubensrichtung hemmungslos Daten manipulieren, um ihre Botschaft an die Menschen bringen zu können. Nachrichten werden unter den Teppich gekehrt, wenn die Message nicht genehm ist. Da wird ebenso für Jesus gelogen, wie für linke Heilsbringer die Wahrheit so hingebogen wird, dass nur noch die schönen Seiten gezeigt werden und zum Beispiel die Arbeitslager eines Fidel Castro einfach nicht existiert haben, beziehungsweise werden die Überbringer unangenehmer Nachrichten gleich als "Rassisten" beschimpft oder oder "islamophob" genannt.

Ausgewählte Daten

Aber natürlich gibt es nicht die einzige Wahrheit. Wir nähern uns immer einem ganz bestimmten Verstehenshorizont, wobei wir einzelne Daten beachten und andere eben nicht. Als Christ würde man meinen, nur Gott habe die totale Übersicht. Insofern sind alle unsere Geschichten natürlich eines: Geschichten, die eine Kombination von ausgewählten Daten sind und zu einem Gesamtzusammenhang verschmolzen werden. Aber sie sind sicher nicht eine fotografische Reproduktion der Wirklichkeit.

Wer nun aber glaubt, dass dadurch der Beliebigkeit und Relativität Tür und Tor geöffnet würde, der irrt. Natürlich wird die Geschichte der Menschen aus bestimmten Perspektiven geschrieben, die bestimmte ideologische Interessen ins Spiel bringen. Deshalb ist aber noch lange nicht alles erlaubt. Wesentlich ist das Quellenstudium, die nachvollziehbare Argumentation ist Pflicht. Viele verschiedene Standpunkte führen auch dazu, dass man abwägen muss, welche wahrhaftiger sind als andere. Doch dazu bedarf es eben auch Medienkompetenz und politischer Bildung. Darüber hinaus erfordern Standpunkte (um eigene Meinungen lancieren zu können) auch Belesenheit und nicht nur Obrigkeitsdenken.

Früher gab es auch nicht bessere Wahrheiten. Aber es war nicht so intensiv marktschreierisch. Heute erleben wir viel mehr (Teil-)Öffentlichkeiten, als wir sie jemals gehabt haben. Im Internet kursieren so viele Kleingruppen, die es früher in 100 Jahren nicht gegeben hätte. Das kann auch ein Vorteil sein. Gab es zu Zeiten des Kalten Krieges noch die Wahrheit der liberal-demokratischen Meistererzählung auf der einen Seite und die sozialistische gleiche und allumfassende Bevormundung durch das Zentralkomitee auf der anderen, so gibt es heute eben viel mehr Heilsbringer: Veganer, Fußball-Ultras, politisch Korrekte, Alternative Linke und Rechte und sonstige quasireligiöse Instanzen.

Gehirn benutzen

Soll die Gesellschaft nicht komplett auseinanderdriften, ohne gemeinsame Ziele, die zweifelsfrei neben vielen unterschiedlichen Meinungen vorhanden sein müssen, dann sollte man sich auch um deren Ausbildung hinsichtlich Persönlichkeitsentwicklung kümmern. Es ist ja schön und gut, wenn wir alle in unserem Bereich top gebildet sind, aber es gibt eben in einer Demokratie auch ein Fundament, und dieses sollte die Gesellschaft als Ganze umfassen und aus Gehirn-Besitzern eben auch Gehirn-Benutzer machen. Das bedeutet selbständige Wesen, die auch mit der Flut an Information umgehen können.

Zum Autor:

Wolfgang Glass ist promovierter Politologe und Personalberater in Wien.