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Ein fragiles System

Von Holger Blisse

Gastkommentare

Woran die Schuldenkrise in Italien erinnert - Korrekturbedarf in der bestehenden Ordnung.


China erlangt mit dem Fleiß von Millionen Menschen und niedrigen Arbeitskosten das, was die USA heute mit dem Dollar als Leitwährung vermögen. Italien stellt seinerseits zwar die Stärke des Euro auf die Probe - die dieser, nebenbei bemerkt, vermutlich sogar bestehen wird -, aber wie in den USA ist nicht erkennbar, wer für die Schulden aufkommen und sie zurückzahlen soll. Dennoch wird die italienische Gesellschaft daran keinen Schaden nehmen. Sie führt uns die Fragilität unseres Geld-/Kreditsystems vor Augen: Solange alle an die Einlösbarkeit des Zahlungsmittel(versprechens)s glauben, werden die Wirtschaft und der Austausch von Waren und Dienstleistungen gegen Währungen gelingen. Dass in Folge der Wechselkurs- und Wertpapierkursschwankungen einige verdienen und andere Vermögen verlieren, ist zwar im System so konstruiert, ändert aber nichts an den menschlichen Grundbedürfnissen, die erfüllbar bleiben müssen.

Man kann die Währung eines Staates durchaus mit der Aktie eines Unternehmens vergleichen. Dann verbinden sich in ihr auch festverzinsliche und spekulative Anteile eines nationalen Kapitalmarktes (Börse) mit Anleihe/Renten- und Aktienmarkt. Wem es gelingt, den Wechselkurs einer Währung zu beeinflussen, der vermag innenpolitisch einzugreifen, zum Beispiel bestimmte, für die Betroffenen einschneidende (Wirtschafts- oder Sozial-)Reformen herbeizuführen, wie es das griechische Beispiel belegt. Italien steht zumindest auch unter dem Schutz des Euro, die türkische Lira war gegen diese Wirkungen weniger gut geschützt.

Kursschwankungen bieten größere Chancen auf Gewinn

Wie empfindlich Devisenmärkte reagieren, zeigt sich schon allein an Absichtserklärungen und daraus abgeleiteten (Folge-)Erwartungen. Beispielsweise hat vor kurzem die US-Politik der US-Wirtschaft und dem Dollar Stärke verliehen. Größere Kursschwankungen (Volatilitäten) bieten größere Chancen auf Gewinn. Man müsste nur den US-Präsidenten oder eben die italienische Regierung richtig zu interpretieren wissen.

Aber Wirtschaft vollzieht sich nicht nur über Marktbeziehungen. Auch dafür bietet gerade Italien ein gutes Beispiel, wo Genossenschaften einen sehr wesentlichen Beitrag in ganz unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen leisten. Im Sozialen werden viele Aufgaben von Genossenschaften und nicht direkt vom Staat erbracht. Der italienische Verfassungsgesetzgeber hat diese sozialen Leistungen abgesichert. In der italienischen Verfassung lautet Artikel 45: "Die Republik erkennt die soziale Aufgabe des Genossenschaftswesens an, sofern es nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit und ohne Zwecke der Privatspekulation aufgebaut ist. Das Gesetz fördert und begünstigt mit den geeignetsten Mitteln seine Entfaltung und sichert durch eine zweckdienliche Aufsicht seine Eigenart und Zielsetzung."

Wenn die gesellschaftlich notwendigen Leistungen nicht mehr von der öffentlichen Hand finanziert werden können, dann bedarf es privater Initiative. Bedauerlich ist es nur, wenn durch staatliche Verschuldung eine Gesellschaft in diese Notlage gerät, vor der die Gemeinschaft sich im Grunde bewahren sollte. Ein Gegenbeispiel bietet Japan, wo zumindest die notwendigen Kreditmittel sehr weitgehend von der japanischen Bevölkerung selbst bereitgestellt werden.

Es gibt viele Ideen, Staaten vor zu hohen Schulden zu bewahren und die handelnden Personen davor zu schützen, zu hohe Verbindlichkeiten einzugehen. Denn die Entscheidungsträger können abgewählt werden. Interessanterweise fallen in die Zeit, in der diese Mechanismen wieder stärker diskutiert werden, ausgeglichene Staatsbudgets und sogar Schuldentilgungen.

Staatliche Verschuldungund Vertrauensschaden

Doch angesichts der aufgebauten Schuldenberge wird es noch viel Zeit brauchen, bis die Staatsschulden wieder abgebaut sind. Wäre eine Korrektur, zum Beispiel ein echter Schuldenerlass, das Eingeständnis eines systemischen Ungleichgewichts in den Austauschbeziehungen von Staaten, zwischen denen die Handelsbilanz nicht ausgeglichen ist, und würde einen Neuanfang erleichtern?

Wohl den Staaten, die ihr Vermögen nicht gänzlich aufbrauchen müssen, um Schulden zurückzuzahlen, oder sogar ein Vermögen aufbauen wie Norwegen mit seinem staatlichen Pensionsfonds. Kredite ermöglichen einen konsumtiven oder investiven Vorgriff, verbunden mit einer Umverteilung, wie sie sinnbildlich aber teilweise irrtümlich auch mit der Rettung der in der Finanzmarktkrise in Schwierigkeiten geratenen Kreditinstitute verbunden wird.

Der Vertrauensschaden für einen in seinen Handlungen in der Gegenwart eingeschränkten und sich durch zusätzliche Kredite weiter verschuldenden Staat ist beträchtlich. Wir sollten zwar nicht an der gewachsenen Eigentumsordnung rütteln, aber uns dauerhaft nötiger Ausgleichsmechanismen bewusst bleiben. Dabei tragen auch (gemeinnützige) Genossenschaften in den verschiedensten Bereichen wie zum Beispiel dem Wohnen zu einem sozialen Ausgleich bei, wie ihn konstruktionsbedingt der Markt nicht allein zu erbringen in der Lage ist.

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