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Ein Bildungssystem voller Widersprüche

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer,Inhaberin von Symfony Consulting, ist Human Resources-Unternehmensberaterin mit den Schwerpunkten Handel und Bildung. Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Wie wär’s zur Abwechslung mit einer Kultur, die zur ambitionierten Strategie passt?


Hand aufs Herz: Sind Sie bei jedem Meeting ausgeschlafen und aufmerksam und ganz bei der besprochenen Sache? Denken Sie immer mit und nie zum Beispiel an familiären Streit oder an Ihre eigene wichtige Präsentation in einer Stunde? Es gibt viele Gründe, warum wir Informationen nicht in unser Gehirn zum Verarbeiten und Merken hineinlassen. Unbestritten ist, dass die Gedächtnisleistung ein höchst individueller Vorgang ist, der durch verschiedene Rahmenbedingungen gefördert, aber keinesfalls erzwungen werden kann.

Ich kenne keine Führungskraft, die wegen Unaufmerksamkeit bei Meetings die Zahl der Teilnehmer verdoppelt hätte. Oder eine Sprache benutzte, die nur die wenigsten verstehen. Oder für eine Besprechung mit 16 Teilnehmern einen Raum für 10 Personen vorsähe. Oder die Besprechungszeiten bei verlängerter Agenda radikal kürzte, mit weniger Zeit für Nachfragen. Und dabei verkündete, damit eine höhere Aufmerksamkeit zu erreichen.

In unserem Bildungssystem ist genau das passiert: Klassenschülerzahlen von 34 Personen sind unabhängig vom Sprach- und Verständnisniveau möglich, Klassenräume entsprechen vielfach nicht lerngerechten Anforderungen, und für immer komplexere Lerninhalte steht immer weniger Zeit zur Verfügung.

Doch statt auf die Umsetzung im Unterricht zu achten, stehen die Lehrziele im Mittelpunkt: Was solle im Lehrplan stehen, wurde Hannes Ametsreiter als Vodafone-Chef im Ö1-Magazin "Saldo" gefragt.

Alle Hinweise auf die genannten Themen finden sich in österreichischen Lehrplänen: Kreativität, Innovation, fachübergreifendes Arbeiten, Digitalisierung, Programmieren. Aus der Zielsetzung ergibt sich die Tendenz zu schlechteren Bildungsergebnissen also nicht.
Sie folgt vielmehr einer Kultur der Ignoranz gegenüber dem Unterrichtsalltag und den simpelsten lernbiologischen und -psychologischen Erkenntnissen, wie die angebotenen Informationen überhaupt ins Gehirn hinein können.

Statt die Unterrichtssituation durch effektive Unterstützungsmaßnahmen nach Anforderung der Lehrer und Schüler gezielt zu verbessern, werden Schulen permanent neue "Buzzwords" vorgegeben, als Unterrichtsstrategie gleichzeitig Individualisierung und Standardisierung festgelegt, der Verwaltungsaufwand kontinuierlich erhöht. Sprach- und Verständnisniveau, verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, veränderte (Familien-)Alltagskultur und Anspruchshaltung werden ignoriert.

Hat bisher die Wirtschaft diese Problematik immer wieder - und sicher nicht von einer Lehrergewerkschaft gesteuert - angesprochen, so zeigt nun das Beispiel der Polizei, wohin ein dysfunktionales Bildungssystem führt: Die Exekutive muss ihre Aufnahmekriterien senken und dann die Leute selbst ausbilden. Für große Unternehmen ist das leistbar, für kleine kaum. Dazwischen agiert das AMS als "Reparaturanstalt des österreichischen Bildungssystems" (Zitat Johannes Kopf) mit einem Riesenaufwand, dessen Mittel direkt in die Unterrichtssituation investiert wesentlich effektiver und effizienter Nutzen bringen könnten.

Es sieht schlecht aus für die ambitionierten Lehrplanziele: Culture eats strategy for lunch, heißt das in der Managementsprache.