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Unsere schöne, bunte Plastik-Welt

Von Kurt Ruppi

Gastkommentare

Wir haben uns fixiert, von Erdöl und Kunststoff total abhängig gemacht.


Wie ist das eigentlich mit dem Plastik? Was haben wir, was brauchen wir, wo überall ist es schon? Nehmen wir doch einmal als ganz banales Beispiel ein typisches WC her, wo solche Gedanken leicht entstehen können, weil genügend Anlass in Form von Plastik vorhanden ist.

Ein Gedankenexperiment:

Würde sämtlicher Kunststoff aus dem WC entfernt, . . .

  • würde das Fenster fehlen, ebenso der Vorhang und der Rollladen, der Dispersionsanstrich, der Fliesenkleber und Fugenmasse, und die Wandfliesen lägen auf dem Boden;

  • gäbe es auch keinen Spülkasten, auch das Spülrohr, das Ablaufrohr und der Klopapierrollenhalter wären nicht da;

  • würde Wasser spritzen (an mindestens drei Stellen), weil Dichtungen fehlen würden;

  • wären weder die Klobrille noch der Deckel der WC-Schale da, und die Schale selbst würde wackeln;

  • hingen das Waschbecken, die Etagere, der Spiegel, die Handtuchhalter und die Holzkästchen (samt Inhalt) nicht an der Wand, weil es zur Montage nicht besonders schwerer Gegenstände praktisch nur noch Plastikdübel gibt;

  • säße der Heizkörper nur noch auf den Heizungsrohren;

  • würden die Bodenmatte und sogar die Handtücher fehlen;

  • gäbe es weder einen Flüssigseifenspender noch eine Tube mit Waschsand;

  • wäre keine WC-Bürste da, kleine Gegenstände wie Bürsten und Kämme würden ebenso fehlen, auch die kleine Wanne für Fußbäder, die am Siphon unter dem Waschbecken hängt (der natürlich auch fort wäre);

  • hätten einige Metallteile (etwa Heizungsrohre) keine Beschichtung, vieles wäre im Nu rostig oder grünspanig;

  • gäbe es auch die Kugelleuchte und das kleine Transistorradio zur Unterhaltung nicht;

  • hätten wir sofort einen Kurzschluss und nie mehr Licht - denn alle Rohre, Formstücke, Klemmen und Isolierungen von Elektroanlagen sind ja auch aus Plastik;

  • gäbe es vor allem nicht nur kein Warmwasser, es gäbe überhaupt kein Wasser, wenn Plastik überall verschwände, weil es keine Pumpen gäbe; und es würde erbärmlich stinken, von ganz alleine.

Kein Wohnen ohne Plastik

Dasselbe Gedankenexperiment kann man natürlich auch mit der Küche durchspielen: Auch hier würde nichts mehr funktionieren, sie ist ja heute ein halbes Labor und enthält noch viel mehr Elektrik als andere Räume. Viele Küchengeräte wären unbrauchbar ohne Kunststoff, vom Schneidmesser (Griff) über die Kaffeemaschine und den Herd bis zum Kühlschrank. Und es würde auch hier stinken, wenn man nicht schleunigst den Kanalanschluss (Kunststoffrohr) zustopfte.

Abgeschwächt und leicht variiert gilt dies auch für alle übrigen Wohnräume; Bodenbeläge und Wandanstriche, Teile der Möbel wie Matratzen und Sitzpolster wären weg, Stromversorgung und Beleuchtung unbrauchbar; und unsere Häuser sind auch angefüllt mit Unterhaltungs- und Sicherheitselektronik - nichts davon würde funktionieren.

Und die riskante Fixierung auf Kunststoffe gilt auch für den Bau selber: die Außenhaut, die Isolierungen für Feuchtigkeit und Schall, viele Fenster und Türen; neuerdings wird auch Kleber statt Mörtel zum Mauern verwendet - die Standsicherheit der neuen Häuser wäre verloren, würde man ihn weglassen, weil auch dieser Kleber Kunststoffanteile hat.

Und wie sieht es außerhalb des Wohnbereiches aus? Wir haben Fabriken, Labors, Spitäler - sie alle wären ohne Kunststoffe noch weniger funktionsfähig als eine Wohnung. Das braucht man gar nicht erst zu argumentieren. Straßen und Gehsteige bestehen großteils aus Asphalt, auch der wäre ohne Kunststoff weg. Autos, Busse, Straßenbahnen, Eisenbahnzüge, der gesamte Verkehr würde stehen - überall Kunststoff, von den Reifen über den Treibstoff bis zum Fahrradsattel. Auch viele Schuhe werden aus oder mit Plastikteilen hergestellt. Gar nicht reden von Verpackungen aller Art: Flaschen en Masse, die Sackerln, mit denen wir unsere Einkäufe nach Hause tragen . . .

Es landet auch in uns selbst

Die Produktionsmenge von Plastik aller Art ist in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Wir haben uns fixiert, von Erdöl und Kunststoff total abhängig gemacht. Wir müssten uns viel einfallen lassen, wenn wir unseren Standard und die gewohnte Bequemlichkeit ohne Erdöl beibehalten wollten.

Aber was geschieht nach dem Gebrauch von all dem Plastik damit? Es ist Abfall. Wir drei Möglichkeiten, damit umzugehen: einfach wegwerfen und wegschwemmen; vergraben beziehungsweise verbrennen; oder recyceln.

Das, was wir wegwerfen, wird von der Natur "weiterbehandelt". Der Wind treibt es durch Städte und Dörfer, hängt es in die Bäume, bläst es über Wiesen und Wüsten: gut sichtbar zum Beispiel in Nordafrika. Der Kunststoff landet in Wäldern, Flüssen, Meeren, und er hält zwar lang, aber nicht ewig.

Zunächst ist er noch nicht gefährlich, nur hässlich - bis er von Wind, Wetter und Wasser bewegt, zerrissen und zermahlen wird, von vielerlei Getier gefunden und gefressen, und wenn das Plastik klein genug ist, kann es auch von Pflanzen aufgenommen, mit dem Wasser getrunken oder mit der Luft eingeatmet werden; es gelangt nach und nach über die Nahrungskette in fast allen Lebewesen, mehr oder weniger rasch. Erst in Vögel, Wale und Fische, dann in andere Säugetiere und schließlich auch in den Menschen. Symbolisch dafür war das Bild eines heuer verendeten Grindwals: der Wal tot und aufgeschnitten - daneben sein Mageninhalt, der 80 (!) schwarze Müllsäcke umfasste.

Auch was vergraben wird, kann im Grundwasser wieder auftauchen, und was verbrannt wird, mischt sich mit der Atmosphäre. In beiden Varianten taucht es wieder auf, in der Atemluft rasch, im Grundwasser langsamer, dafür aufgelöst in unserem Lebenselement Wasser; auf jeden Fall gelangt es in alle natürlichen Kreisläufe, wird von der Evolution immer und überall verwendet, eingebaut, wandert durch alle Prozessketten des Lebens; natürlich auch in unsere Körper, und es gibt keinerlei Auswahlkriterien. Wenn es dabei Schäden gibt - Pech gehabt.

Die Möglichkeit, die Kreisläufe des Lebens zu verstehen und für unser Gedeihen zu nutzen, haben wir heute noch nicht; sie sind zu komplex und zu vielfältig vernetzt für die Wissenschaft. Am nächsten dran sind wohl jene Bauernhöfe, bei denen heute noch sämtliche Abfälle organischer Art sind und alle Exkremente auf Äckern, Wiesen etc. dem Boden wieder zurückgegeben werden. Diesen Weg weiterzuentwickeln haben wir gar nicht versucht, dazu war die technische Effizienz der Industrie mit allerlei Maschinen zu vielversprechend.

Recycling: nur die halbe Lösung

Zum Thema Recycling: Sortenreinheit, Mindestgröße werden verlangt, damit ist schon einmal klar, dass "Ocean Cleanup" nicht hilft - das ist nur eine Sammelmethode. Recyceln und Mehrfachverwendung ist nur das Aufschieben des eigentlichen Problems für kurze Zeit: Erdöl, Kohle, Gas - dies alles gehört nicht mehr auf die Erdoberfläche, es passt nicht in das heutige Netz von Biotopen.

Und was will die Politik tun, um das Problem anzugehen? Wattestäbchen, Picknickgaberln, vielleicht Verpackungen und Sackerln aus Sackerl verbieten - wenn es nicht zu viele Jobs kostet. Was letztlich verwirklicht wird, ist wohl nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.