
Ein Wort geht um. Es ist ein Wort mit Knochen und Muskeln. Ob es ein Rückgrat hat, weiß man noch nicht. Es klingt harmlos, hat aber wohl eine große Karriere vor sich. So wie andere schöne Begriffe schon vor ihm: "Gutmensch" war auch einmal gut gemeint, "Humankapital" nur eine Rechengröße, und selbst "alternative Fakten" kamen in den 1990ern noch im selbstgestrickten Pullover daher. Und dass "besondere bauliche Maßnahmen" etwas anderes als ein nicht genehmigtes Schwimmbad hinter dem Einfamilienbunker sein könnten, wusste man früher auch nicht. Ja, man glaubt es kaum: Selbst das hochemotionale "Kopftuchmädchen" war in Österreich auf dem Land noch vor 60 Jahren ein ganz gewöhnliches Dirndl (das Kleid ist mitgemeint).
Jetzt gibt es aber etwas Neues, Heißes, und das heißt: "Haltungsjournalismus". Da kribbelt es einen schon, wenn man es liest. Googelt man diesen Fachbegriff der publizistischen Orthopädie, kommt man als Allererstes auf eine Website, die behauptet, "News am schnellsten" zu verbreiten, und ansonsten Meldungen über die AfD und das Dschungelcamp bringt. Hochseriöser hotter Shit, I presume.
Der nächste Link führt zu einem extrem seriösen YouTube-Nachrichtenportal, das sich Sorgen um Lkw-Fahrer und den Migrationspakt macht. Bald ist man dann schon auf einer Facebook-Seite, die "Bayern ist frei" heißt und ganz freiwillig Fotos von der AfD-Politikerin Beatrix von Storch publiziert. Und dann kommt auch schon schnell die offizielle Seite von Harald Vilimsky. Endlich wieder zuhause! Obwohl der Mann, wie ich jetzt weiß, ein Büro in Straßburg und eines in Brüssel hat. Danach kommt noch eine christliche Seite, die von Altparteien spricht, die AfD in Schutz nimmt und vor dem kommenden Kalifat warnt. Und dann bin ich bei Alice "Folgen Sie dem Kaninchen, das Spenden aus der Schweiz bringt" Weidel.
Irgendwie drängt sich mir da das Gefühl auf, das Wort würde von einer ganz bestimmten politischen Richtung vermehrt verwendet werden. Also dauernd. Quasi ohne Rücksicht auf das cerebrale System des Humankapitals. Aber wahrscheinlich irre ich mich da. Und ich darf mich irren. Ich bin kein Journalist, sondern Satiriker. Aber als solcher natürlich auch Staatsbürger, Medienkonsument und Nachrichtenendverbraucher und sehr interessiert an der Haltung von Journalisten. Nur welche Haltung ist bei Haltungsjournalismus gemeint? Gebückt? Um Anzeigen bettelnd? Oder ist das Buchhaltungsjournalismus? Auf den Boden geworfen? Kniend?
Oder ist Haltung überhaupt ganz anders zu verstehen? Man hält sich Journalisten in einer kleinen, herzigen Redaktion, und die stellen einem dann überraschenderweise genau die Fragen, auf die man die Antworten schon vorbereitet hat? Oder man hält Journalisten klein? Oder an der kurzen Leine? Oder hält man sie schlicht für überflüssig, schließlich hat man doch Kommunikationschefs, PR-Berater und Pressereferenten? Oder ist nicht die einzige korrekte, journalistische Haltung aufrecht stehend, auf Augenhöhe und immer wieder auf PR-geschulten Antwortfloskeln freundlich, aber hartnäckig insistierend antwortend: "Ja, aber das war nicht meine Frage."