
"Schon wieder ein neuer Anglizismus! Brauchen wir das?" Mein Freund Heinz, ein Sprachpurist, ist sichtlich erregt. Ich versuche ihn zu beruhigen. "Schau, es gibt immer wieder neue technische Erfindungen, die meisten kommen aus den Vereinigten Staaten - wenn du nicht ein Hinterwäldler sein willst, musst du darüber reden können." Heinz protestiert heftig: "Ich bin kein Hinterwäldler! Aber warum kann man nicht die englischen Bezeichnungen ins Deutsche übersetzen?" - "Wenn das geht, bin ich dafür. Aber in vielen Fällen funktioniert es nicht."
Und dann beginne ich zu dozieren: "In jeder Sprache wird der Wortschatz im Laufe der Zeit immer umfangreicher. Eine kleine Anzahl von Wörtern stirbt aus, eine größere kommt hinzu. Jede Sprache erneuert sich auf diese Weise im Laufe der Zeit." Um meinem Freund die Angst vor den neuen Wörtern zu nehmen, habe ich ihm gezeigt, wie man auf dem Computer zur Neologismen-Datenbank des Mannheimer "Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache" kommt. "Dort findest du die neuen Wörter der letzten drei Jahrzehnte, alphabetisch aufgelistet und ausführlich erklärt. Sogar mit Belegen. Ich zeig dir, wie das geht." Ich klicke den Buchstaben R an. Links erscheinen in einem Kasten die neuen Wörter. Dann navigiere ich zum Ausdruck "Reformstau".
Unter "Bedeutungsangabe" lesen wir: "das Nicht-zustande-Kommen anstehender, als notwendig erkannter Reformen über einen längeren Zeitraum hin". In einem anderen Kasten mit der Überschrift "Aufkommen" steht: "seit Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in Gebrauch". Heinz schaut mich schmunzelnd an: "Ist das eine Website von Sebastian Kurz?" -
"Das ist ein unabhängiges Forschungsinstitut, gefördert von der deutschen Bundesregierung, von einem Bundesland, von der Stadt Mannheim und von Stiftungen."
Ich gehe eine Ebene zurück und klicke unter W das Wort "Waschbrettbauch" an. Der Ausdruck steht seit Mitte der 1990er Jahre für eine "gut ausgebildete, trainierte Bauchmuskulatur, besonders bei Männern". Ein letztes Beispiel: "Kaffeekapsel". Das Wort ist seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts in Gebrauch. Seit damals gibt es diese speziellen Kaffeemaschinen, die mit einer kleinen Dose aus kunststoffbeschichtetem Aluminium bestückt werden.
"Wie kommen die zu diesen Angaben?", will Heinz wissen. "Schau, hier siehst du die Liste von Zeitungen, Zeitschriften und Periodika, die elektronisch ausgewertet werden. Es sind rund 80 an der Zahl." - "Das sind ja nur deutsche Medien!" - "Da hast du recht. Aber du siehst: Vieles gilt auch für uns."
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass manche Wörter in Österreich keine Rolle spielen: "Fahrstuhlmannschaft" ist so eines, das ist ein Fußballklub, der wiederholt ab- und aufsteigt, oder "Opferakte" - eine vom Staatssicherheitsdienst der DDR geführter Akte über eine Person, die bespitzelt wurde. "Moment", sagt Heinz, "du hast mich hereingelegt und keine Anglizismen angeklickt!" - "Das stimmt: Wörter wie ,Waterboarding‘ und ,Fake News‘ habe ich dir erspart. Aber ich gebe zu: Die Mehrheit der neuen Wörter kommt aus dem Englischen."
So hat unser Gespräch ein versöhnliches Ende gefunden.
Robert Sedlaczek ist
Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Amalthea "Österreichisch für Fortgeschrittene" erschienen.