
Kühl, ruhig und ereignisarm: So waren die Nächte im Süden Wiens. Die Einfamilienhaussiedlung, in der ich aufwuchs, hatte man durch ein System von Einbahnen für den Durchzugsverkehr unattraktiv gemacht. Zudem richteten sich die Fenster des Kinderzimmers in den Garten. Wenn jemand lärmte, dann die Amsel, um Störenfriede vor dem Nest zu verjagen. Ab und zu kreischten Katzen beim Liebesspiel. Aber normalerweise brach bloß Blätterrauschen die Stille.
Mitunter wurde die Idylle allerdings gestört. Dann nämlich, wenn durch einen Spalt im Fensterladen eine Gelse in den Raum gelangte. Das angriffige Surren riss mich aus dem Schlaf, und oftmals verbrachte ich Stunden damit, die Blutsauger ausfindig zu machen und an die Wand zu klatschen. Das Jagen wiederholte sich jahrelang - bis ich als Teenager Moskitonetze für mich entdeckte.
Inzwischen brauche ich keine Netze mehr. Meine nachlassende Gehörleistung betrifft anscheinend vor allem die hohen Frequenzen. Mithin genau jene Tonlage, die Gelsen bei der Fortbewegung begleitet. Ohne das Surren aber haben die Stechmücken für mich ihren Schrecken verloren: Sie sind mir egal geworden.
Solange mich kein Raser mit aufgebohrtem Auspuff aus den Kissen reißt, verläuft meine Nachtruhe unerschütterlich. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil: Die Gelsen stechen mich nicht mehr. Und dies, obwohl es auch in der Brigittenau an Gelsen nicht mangelt. Meine Frau und mein Sohn, mit denen ich Wohnung, Schlafzimmer und Bett teile, leiden unter Gelsenattacken samt Surren und Juckreiz. Dass Gelsen, wenn sie nur ungestört zum Stich kommen, am Ende der Mahlzeit ihr Gift wieder ordentlich aus der Wunde saugen und deshalb kein Dippel zurückbleibt, stellt sich nach Rücksprache mit einem befreundeten Zoologen als urbane Legende heraus. Wie aber kommt es zu diesem sonderbaren Phänomen?
Nach meinem Dafürhalten kann es nur eine Erklärung geben: Was wir nicht hören, existiert für uns auch nicht. Es ist dies ein Gedanke, der durchaus Anlass zur Hoffnung gibt. Vielleicht lassen sich so auch dramatischere Probleme lösen. Verhindert Schwerhörigkeit am Ende Verkehrslärm, ja, haben wir gar ein Mittel gegen die Klimakrise in der Hand?
Bleibt das Problem, dass diese Lösung nicht bloß der Schwerhörigkeit des Einzelnen, sondern jener der Allgemeinheit bedarf. Und hier kommt uns - wie so oft - der Eigensinn der Kinder in die Quere. Die hören angeblich sogar in Bereiche jenseits der 15.000 Hertz hinein. So entgeht ihnen noch das kleinste Muckerl nicht. Und bis sie so taub sind, dass sie den Klimawandel weghören könnten, schwappt uns allen der Meeresspiegel über die Köpfe . . .