Eigentlich wollte ich zur Kontroverse zwischen dem Kabarettisten Lukas Resetarits und Christian W. Mucha eine klare Position beziehen und für den Fachzeitungsverleger Partei ergreifen. Aber nach eingehender Recherche fällt mir das schwer. Zur Erinnerung: Resetarits hat in einem Interview in der ORF-"ZiB2" gemeint: "Wir (Künstler) sind durch den Rost gefallen." Mucha hielt das für eine sprachliche Entgleisung und kritisierte den ORF-Moderator Armin Wolf, weil dieser dem Kabarettisten nicht gleich über den Mund gefahren war. Natürlich ist Muchas Attacke politisch motiviert. Resetarits und Wolf gelten als links, Mucha will sagen: "Ihr, die ihr immer von politischer Korrektheit redet, nehmt es in diesem Fall nicht so genau."

Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.
Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.

Muchas "Extradienst" behauptet, es habe in den sozialen Medien einen Shitstorm gegen Resetarits gegeben - die Gratiszeitung "Österreich" berichtete ausführlich darüber. Die Aufforderung Muchas und einiger anderer zur allgemeinen Entrüstung wurde aber nicht generell gutgeheißen. Es gab auch zahlreiche Stimmen pro Resetarits: Das sei zwar verborgener Nazi-Jargon, aber "einem Unverdächtigen" müsse man das nachsehen.

Ist es überhaupt Nazi-Jargon?

Ich recherchierte, seit wann die Wendung verwendet wird. Sie findet sich weder bei Grimm noch in den wichtigsten Nachschlagewerken wie etwa in Lutz Röhrichs "Lexikon der sprachlichen Redensarten" oder im Band "Redewendungen" des Duden. Es wird häufig behauptet, dass die Phrase in dem 1616 erschienenen Lexikon "Teutsche Sprach und Weißheit" von Georg Henisch belegt ist. Das stimmt nicht. Es gibt dort lediglich "er ist von einem Rost auf die Glut gefallen", also vom Regen in die Traufe gekommen.

Im elektronischen Zeitungsarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek fand ich einen Beleg für die wörtliche Verwendung. In Zeiten der Kohleknappheit nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Menschen aufgefordert, Schlacke und Kohleteilchen, "die unausgenützt durch den Rost gefallen sind", als Heizmaterial zu verwenden ("Österreichische Illustrierte Zeitung", 8. Februar 1920). "Der neue Mahnruf" berichtet im Mai 1954 über "antisemitische Exzesse bei der Delogierung eines Rabbiners". Dabei sei der Schmähruf zu hören gewesen: "Das Gesindel gehört vertilgt! Die sind alle dem Hitler durch den Rost gefallen!" Diese Version ist unzweifelhaft Nazi-Jargon - aber aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es darf nicht übersehen werden, dass die von Resetarits verwendete Formulierung "wir Künstler sind durch den Rost gefallen" nicht bedeutet, "wir sind ermordet und verbrannt worden", sondern eher das Gegenteil: "man hat uns nicht beachtet, man hat auf uns vergessen".

Ich bemerke, dass sprachlich bewusste Menschen Ersatzfloskeln verwenden, eine Art Vermeidungsstrategie: "Wir sind durch die Maschen (des Auffangnetzes, des sozialen Netzes) gefallen/gerutscht." Muss das sein? Ist "durch den Rost fallen" zu Recht verpönt?

Um zur eingangs erwähnten Fragestellung zurückzukehren: Es kommt immer darauf an, "wer" etwas sagt. Würde ein bereits auffällig gewordener FPÖ-Politiker den Satz gebrauchen, könnten wir Böses vermuten.