
Die wenigen Male, als ich mich zu einer längeren Diät hinreißen ließ, vertiefte ich mich mit Heißhunger in Kochbücher und überlegte, was ich nach Ablauf der mageren Tage an köstlichen Mahlzeiten auf den Tisch zaubern würde. In diesem Frühjahr, während der Zeit der geschlossenen Grenzen, verschlang ich unterschiedlichste Reisebücher, die mir Appetit auf die Welt machten: "In 225 Reisen um die Welt", "Meeresrauschen", "Legendäre Zugreisen" oder "Atlas der Reiselust".
Während ich beim Lesen der Reiseberichte unverwüstliche Heldinnen und Helden auf abenteuerlichen Wüstendurchquerungen begleitete, plante ich zufrieden ein paar geruhsame Tage im schönen Österreich. Jetzt sind die Grenzen wieder durchlässiger geworden und damit sind auch das Meer und die südliche Sonne näher gerückt. Wir dürfen wieder verreisen ... und müssen daher schon fast. Zwar zwingt uns niemand dazu, außer vielleicht die eigene innere Unruhe, der rastlose Kern unseres uralten nomadischen Wesens. Zudem ist es nicht so einfach, all den schönen Verlockungen zu widerstehen, die wir mit dem Wort "Reisefreiheit" verbinden.
Wohin im Urlaub? Eigentlich hatte ich schon fast geglaubt, mir diese Frage heuer ersparen zu können. Bei aller Sorge über die coronabedingten Entwicklungen war das kein so schlechtes Gefühl. Man darf nicht, also kann man nicht, also muss man nicht ... Fast erleichternd wirkte das, weil wir doch ständig irgendetwas müssen müssen. Daheimbleiben mussten wir eine Zeit lang auch, das war nicht so schön, aber auch dabei gab es neben all den unliebsamen Einschränkungen den liebsamen Nebeneffekt wohltuender Pflichtbefreiung: Leidige Verwandtenbesuche, gebotene Einladungen und wenig zweckmäßige Meetings konnten ohne Entschuldigung und schlechtes Gewissen unterlassen werden.
"Der Urlaub ist erholsam meist nicht nur für den, der in ihm reist. Auch den, der da bleibt, freut die Schonung, die er genießt in stiller Wohnung. So zählen zu den schönsten Sachen oft Reisen, welche andre machen", reimte Eugen Roth, und auch der neu entdeckte Stubenhocker in uns sammelt plötzlich Argumente, um es sich daheim gemütlich zu machen. Abgesehen von den Sicherheitsbedenken und der Umweltbelastung - gesund ist das Reisen auch nicht immer, oft beginnt es mit Fieber. Und es fördert neurotische Handlungen, wenn man sich etwa mehrmals vergewissert, den Pass dabei zu haben, ihn dann aber trotzdem nicht findet, weil man sich kurz vor Abreise ein neues Ordnungssystem ausgedacht hat, das alles durcheinanderbringt. Zudem noch: Stau auf der Autobahn, Hundekacke am Rollkoffer, Sand im Zelt, Quallen im Meer, Lärm am Campingplatz, Sonnenbrand am Rücken, Patschen am Mietroller, Mücken im Schlafzimmer, zu viel Wein und Rum im Sangria ...
All das ist nicht wirklich erstrebenswert. Aber es geht doch auch sehr ab, wenn man es nicht haben kann!