Irene Prugger, geboren 1959, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mieming, Tirol.
Irene Prugger, geboren 1959, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mieming, Tirol.

Reisewarnung da, Reisewarnung dort, Reisewarnungen für die halbe Welt, also steht heuer eine Österreich-Rundfahrt an. Eine gute Gelegenheit, sich wieder einmal in die österreichische Literatur bzw. in Literatur über Österreich zu vertiefen. Neben dem Bücherstapel wartet jedoch zuerst ein Stapel Österreich-Prospekte. Es sind Prospekte mit begeisterten Ausrufezeichen nach Attributen wie "erholsam" und "atemberaubend" und euphemistischen Begriffen wie "Feinschmeckerland", "Bergidylle" und "Waldheimat". Ein Bild schöner als das andere, die gezeigten Menschen freundlich lächelnd.

Im Blätterwald der Bücher schaut es trister oder zumindest differenzierter aus. Wer in der Literatur oder in Zitaten von Autorinnen und Autoren abseits von Liebeserklärungen und nüchternen Bestandsaufnahmen nach Österreich-Bildern sucht, könnte zu dem Schluss kommen, dass ein heimtückisches Virus noch das kleinste Übel sei, das einen hier ereilen kann.

Das beginnt schon beim Wetter. Bereits Franz Werfel hatte die Wiener "Windstille aus dickem Flanell" beklagt, was Max Goldt zur Bemerkung veranlasste, im Hochsommer verwandele man sich in Wien aufgrund der Schwüle in eine triefende Gallertmasse. Georg Trakls Gedicht "Föhn" führt uns mit jedem Wort einen Schritt weiter in die depressive Verstimmung, gegen die nur ein Drogenrausch hilft: "Leise kommt die weiße Nacht gezogen, verwandelt in purpurne Räume Schmerz und Plage des steinigen Lebens (...)."

Und erst die Österreicher selbst! Georg Kreisler drückte es fast charmant aus, als er vermutete, der Tod müsse ein Wiener sein. Thomas Bernhard, der hier, wie allgemein bekannt, vor allem Lumpen, Heuchler, Debile, Tobsüchtige, Anti-Künstler in Masken der Kunstsinnigkeit, Stumpfsinnige, Burgtheater-Gesindel und ewige Nazis sah, formulierte den Gedanken drastischer: "In jedem Österreicher steckt ein Massenmörder!" Peter Turrini sah in den meisten von uns professionelle Mörder ohne amtliche Bescheinigung. Die anderen sind jene mit amtlicher Bescheinigung. Gegen die Küche lässt sich kaum etwas Negatives sagen, aber in Anlehnung daran schon: "Das Fette, an dem ich würge: Österreich" (Peter Handke).

Um nicht nur bei älteren Männern nachzulesen: Lisa Eckharts Interpretation der Bundeshymne ist auch nicht gerade ein ermunterndes Statement für einen vorurteilslosen Heimat-Rundtrip: "Land der Berge, Land der Dome, / schwimmst du auch gerne mit dem Strome, / drehst Fähnchen oft nach dem Gesinde, / fehln dir auch Schrauben im Gewinde ..."

Im Urlaub sind die Blickwinkel naturgemäß verklärter, was auch nicht unbedingt Anlass zu reiner Freude gibt. "Ich glaube, ganz Österreich wird bald zu dem Bild erstarren, das wir jetzt schon auf den Fremdenverkehrsprospekten abgeben", prophezeite Elfriede Jelinek in einem Interview im Jahr 2000. Auf einem Österreichtrip mit Büchern und Prospekten kann man testen, ob die Wahrheit dazwischen liegt - oder anderswo.