Man kann es nicht mehr hören. Die "Digitalisierung", dieses alles und nichtssagende Stichwort, steht im Empfehlungs-Katalog von IT-Professionisten, Unternehmensberatern und Orakelbetreibern ganz oben. Seit Jahren. Ach was: seit Jahrzehnten. Und man möchte gar nicht wissen, wie viele Fantastilliarden schon in diverse "Digitalisierungsoffensiven" geflossen sind, egal, ob sie von der Regierung, der Wirtschaftskammer oder sonstigen Stakeholdern - das ist das neudeutsche Wort für Interessensvertreter - ausgerufen wurden. Wenn als erster wichtiger Baustein der Zerlegung der Welt in die Informationseinheiten Null und Eins die Erfindung der Flipflop-Schaltung gelten darf, dann ist über ein Jahrhundert lang viel Wasser die Donau hinuntergeflossen. Spätestens zur Jahrtausendwende aber war die digitale Revolution gegessen. Alles, was anno 2020 noch analog funktioniert (u.a. der Mensch), darf als Museumsstück der Zukunft betrachtet werden.

Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien. Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com
Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien. Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com

Nun ist es mit der digitalen Transformation in der Praxis oft nicht so weit her, wie man glauben möchte. Zwar hat es die Menschheit geschafft, sich bis in die letzte Zehenspitze selbst zu vermessen, ihre Gedankengänge zu durchleuchten und Zettabytes an Daten zu horten, aber Schulkindern z.B. stehen nicht einmal durchgängig Laptops oder Tablets zur Verfügung, wenn sie nachschlagen wollen, was eigentlich hinter dem Begriff "Computer" steckt. Wir sprechen, wohlgemerkt, von Mitteleuropa. Die aktuelle Pandemie hat schonungslos alle Schwachstellen einer Ökonomie offengelegt, die ungebrochen auf physische Präsenz und direkten Kontakt setzt. Die Ausnahmen - allen voran Amazon, das zunehmend monopolistische Lieferservice des 21. Jahrhunderts - zählen zu den Krisengewinnern. Einmal mehr. Und das größte Problem unserer Wirtschaftsministerin ist dabei nicht, dass dieser weltumspannende Konzern knallhart Gesetze umgeht und trickreich seine Steuerlast verschlankt, sondern, dass sie privat keine passenden Schuhe für sich findet. Im Internet. Bei heimischen Händlern, denen das Wasser bis zum Hals steht.

Sie wissen, worauf ich anspiele. Es wäre ein Leichtes, in das Wutgeheul rund um die Online-Plattform "Kaufhaus Österreich" einzustimmen. Aber die eigenartig naive und denkwürdig teure Fehlkonstruktion einer heimischen Amazon-Alternative wurde in den wenigen Tagen seit ihrem Stapellauf schon so intensiv analysiert und diskutiert, dass es Platzverschwendung wäre, hier nachzuwassern. Gut gemeint ist seit jeher das Gegenteil von gut, dieses Gebilde hat immerhin Symbolwert. Man fragt sich ernsthaft, welcher Teufel Schramböck, Mahrer & Co. geritten hat, stolz ein derartig windschiefes virtuelles Gebäude zu enthüllen. Die Digitalisierung kleiner lokaler Händler hat man damit jedenfalls nicht begünstigt - ob sie überhaupt Sinn macht und man nicht vielmehr auf clevere Differenzierung zu normierenden Mega-Trends setzen müsste, ist die zentrale Frage.

Was jedenfalls in diesem ganzen Tohuwabohu sichtbar wird: Die Erreichtung potemkinscher Marketing-Fassaden wird uns nicht retten. Und schon gar nicht die vielbeschworene Wirtschaft. Es bedarf wirklicher, ernsthafter, schmerzlicher Anstrengungen, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Mit billigem Parfum und falschem Lächeln verkommt Österreich zum Laufhaus.