
Gespräche mit meinem vierjährigen Sohn beginnen dieser Tage meistens so: "Papa, weißt du, was der Tody kann?" "Was kann der?" "Der Tody kann ...", und dann folgen Schilderungen von Fähigkeiten, die die menschliche Vorstellungskraft sprengen. Zum Beispiel: "Weißt du, wie weit der Tody zählen kann?" "Nein, wie weit?" "Er kann bis ans Ende der Zahlen zählen."
Superhelden sind bei uns gerade das große Thema. Nachdem im Kindergarten die Kollegen dort Spiderman, Batman und Superman aufgeboten hatten und mein Bub in Ermangelung eigener Erfahrung mit Marvel und DC Comics nicht dagegenhalten konnte, half er sich kurzerhand selbst: Er erfand Tody - den Superhelden unter den Superhelden.
Tody ist noch außerirdischer als Superman und auch stärker. Er spinnt noch bessere Fäden als Spiderman, ist noch grüner als Hulk und biegsamer als Plasticman. Er zieht nicht nur schneller als Lucky Luke, sondern er kann mit vier Revolvern gleichzeitig schießen. Und wenn mein Sohn erklärt, wie das alles funktioniert, bewirkt die Begeisterung über die eigene Erzählung, dass aus Wörtern wilde Gesten und Geräuscheffekte werden.
Woher die Faszination für das Superheldenhafte kommt, ist aus hobbypsychologischer Sicht schnell erklärt. Ein Vierjähriger stößt ständig an Grenzen: Eltern, die Verbote aussprechen und zum Aufessen mahnen. Größere Kinder, die schneller laufen, stärker schubsen und schöner zeichnen. Fantasie und eigene Möglichkeiten stehen in Missverhältnis. Wie verlockend wäre es, Tody zu sein: furchtlos, schrankenlos und frei.
Ein bisschen, so kommt mir manchmal vor, hat uns das Zeitgeschehen in die Rolle von Vierjährigen zurückgeworfen. Innerhalb eines Jahres sind unsere Behaglichkeit, unser Sicherheitsgefühl, unsere Gewissheiten erodiert. Ein Jahr lang schon befinden wir uns außerhalb der Komfortzone. Wie fragil doch alles ist! Eine neue Krankheit zerstört unser soziales Gefüge. Ein gestrandetes Schiff im Suezkanal bringt den Welthandel zum Erliegen. Obendrein die Klimakrise: Wem setzt so viel Unsicherheit nicht zu?
Die Begrenztheit der Möglichkeiten bei sich und bei anderen ertragen zu können, ist nicht nur für Vierjährige schwierig. Von der Ohnmacht zur Wut ist es ein kleiner Schritt. Irgendwer muss doch an der Misere Schuld tragen! Freilich lösen weder Wut noch Schuldzuweisungen noch stumpfsinnige Parolen komplexe Probleme. Die Ungewissheit erfordert andere Mittel: Gelassenheit zum Beispiel - und Einfallsreichtum. Ein übermächtiger Tody, der alles weiß, alles sieht und alles kann: Wozu bräuchte der denn auch noch Fantasie?