
"Zaumzeug der Moderne" hat Franz Zauner vor einigen Jahren eine Glosse an dieser Stelle betitelt - und eine luzide Betrachtung jenes Baustoffs angestellt, der wie kein anderer unsere Zivilisation zusammenhält und festigt: Beton nämlich. (Diese luzide und sprachlich ausgefeilte Art der Betrachtung erfüllt einen mit etwas Wehmut, nachdem der Kollege, der ehemalige "extra"-Leiter und nachmalige Online-Chef, nach 37 Jahren die "Wiener Zeitung" verlassen hat. Auf diesem Wege ein herzliches Farewell, Franz Zauner, der mit all seinen Talenten und Feinheiten - man kann es in besagtem Zusammenhang nicht anders ausdrücken - das exakte Gegenteil eines "Betonschädels" ist!)
Beton also. Längst ist der Baustoff, eine Dispersion aus Zement und Gesteinskörnung unter Zugabe von Wasser, schwer in Verruf geraten. Was als Verheißung einer neuen Zeit - des buchstäblichen Auf-Bauens - begann, ist zur Chiffre ökologischer Verkommenheit geraten. Beton steht heute nicht mehr für Zuversicht und Fortschritt, sondern für Niedergang und Brutalismus. In Form von Bodenversiegelung, die immer größere Anteile natürlicher Landstriche überzieht, gilt die Zementmischung heute als ein Unglücksbote, als eine Bedrohung von Lebensräumen - und als Klimakiller.
Ich kann dieser Sichtweise einiges abgewinnen - dazu brauche ich nur aus unseren Redaktionsfenstern zu schauen: Allzu nahe und im großen Stil (mit dazugehörigem Lärm) wird Beton angerührt, um damit erlesen hässliche Bauten auf engstem Raum zu errichten, ohne jegliche Grünfläche dazwischen. Auch das Donaufeld in Wien-Floridsdorf droht unter einer großen Betondecke zu verschwinden. Das alles gefällt mir gar nicht.
Andererseits war ich kürzlich in einer Weise froh, Beton unter meinen Füßen zu spüren, dass ich diese heilsame Erfahrung nicht unerwähnt lassen darf. Und das kam so: Ich war in Tirol - in Begleitung u.a. von Glossen-Kollegin Irene Prugger - auf dem Rückweg von einer Alm unterwegs, als uns ein Bremsenschwarm entdeckte, umkreiste und in zudringlichster Weise bedrängte. Wie Regentänzer hüpften und fuchtelten wir herum, um die stechwütigen Insekten abzuwehren, was nur bedingt gelang.
Dank kurzer Hose boten ihnen meine nackten Beine eine hervorragende Angriffsfläche, sodass sich dort bald deutliche Brems(en)spuren zeigten. Auch der Versuch, die Biester durch den Eintritt in ein Waldstück abzuschütteln, schlug fehl: Sie folgten uns bereitwillig tief in den Forst hinein und fanden dort - im natürlichen Schatten - noch bessere Bedingungen für ihr Überrumpelungsmanöver vor. Erst als wir nach rund 40 Minuten, einigermaßen entkräftet und entnervt, aus dem Wald heraus auf eine Straße traten, auf eine betonierte Fläche, war der Spuk mit einem Schlag vorbei. Keine einzige Bremse (ver)folgte uns.
Nie zuvor habe ich die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation derart scharf gezogen erlebt. Seitdem hat Beton für mich eine andere, neue Qualität - als (be)schützender Firnis und rettender Untergrund.