Nicht wenig Aufmerksamkeit erregt dieser Tage eine Gruppe von Schülern, die gegen die Weisung des Bildungsministers, die mündliche Matura wieder verpflichtend durchzuführen und nicht mehr zur Wahl zu stellen, protestiert. Die angehenden Maturanten stoßen in der Öffentlichkeit auf viel Verständnis. Dass die von der Pandemie angeblich schwer getroffene Jugend jetzt auch noch eine konventionelle Reifeprüfung ablegen soll, scheint für manche eine kaum zumutbare Belastung zu sein. Wer darauf verweist, dass Lehrbefähigungsprüfungen und universitäre Leistungskontrollen keinerlei Modifikationen wegen der pandemischen Situation erfahren haben, muss sich unangemessene Härte vorwerfen lassen. In vielen Medien hat sich das Bekenntnis zu einer samtig-weichen Erleichterungspädagogik durchgesetzt.

Die Sache wäre nicht der Rede wert, offenbarte sie nicht einige Paradoxien unseres Bildungsverständnisses. So könnte man stutzig werden, wenn sich die oft privilegierten AHS-Schüler in eine Opferrolle drängen, nur weil ihnen etwas abverlangt wird, das selbst unter erschwerten Bedingungen eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte: sein Wissen und sein Können in einer Gesprächssituation, die den Charakter einer strengen Prüfung mittlerweile ohnehin verloren hat, zu präsentieren. Was bedeutet es, wenn die zukünftige Elite des Landes jeder Schwierigkeit aus dem Weg gehen möchte und gar nicht auf die Idee kommt, selbstbewusst und stolz zu verkünden, dass man bereit und fähig sei, eine mündliche Matura abzulegen, auch und gerade in herausfordernden Zeiten?
Die breite Zustimmung, die solch eine verzagte Haltung erfährt, verheißt nichts Gutes. Der Gedanke, dass Bildung etwas mit Anstrengung, Disziplin und der Überwindung von Schwierigkeiten zu tun haben könnte, ist uns fremd geworden. Dabei geht es nicht darum, künstlich Barrieren zu bauen, sondern jungen Menschen die Erfahrung zu vermitteln, dass uns die Dinge selbst mitunter mehr abverlangen können, als uns lieb ist. Die Pandemie war in dieser Hinsicht auch für viele Erwachsene ein Lehrstück, auf das wir gerne verzichtet hätten. So richtig es ist, Schüler nicht grund- und nutzlos zu überfordern, so falsch ist es, in ihrer Entlastung einen kategorischen pädagogischen Imperativ zu sehen. Dass großzügige Bildungsangebote hierzulande eher als eine lästige Zumutung denn als eine veritable Chance begriffen werden, ist höchst irritierend.
Die Lockerheit, mit der die Regeln der Reifeprüfung in Frage gestellt werden, verweist jedoch auf ein tieferliegendes Problem. Die Demonstranten haben eines richtig erkannt: Die Matura hat dramatisch an Wert verloren, auf ein Prüfungsgespräch mehr oder weniger kommt es da nicht an. Die ursprüngliche Funktion dieser aufwendigen Examination, die Bescheinigung einer allgemeinen Hochschulreife, ist längst dahin. Seit die Universitäten ihre eigenen Aufnahmeverfahren definieren, berechtigt die Matura in vielen Fällen nur mehr dazu, sich für einen Studienplatz bewerben zu dürfen. Das einst strenge und sinnvolle Ritual der Reifeprüfung ist leer geworden.
Unter diesen Bedingungen wäre es wahrscheinlich ehrlicher, auf die Matura überhaupt zu verzichten. Das Ende der Schullaufbahn könnte durch das Zeugnis der Abschlussklasse bescheinigt werden. Möglich, dass es gegen so ein Ansinnen wieder Demonstrationen gäbe, denn immerhin stünden damit auch die Maturareisen mit ihren feucht-fröhlichen Partys zur Disposition. Aber keine Sorge: Kreativ wie junge Menschen nun einmal sind, werden sie schon für Ersatz sorgen. Denn eines ist klar, Matura hin oder her: Spaß muss sein.