Die Stimme in meinem Ohr ist die von Suzanne. Suzanne sagt mir, was ich tun muss, um nicht vollends auszurasten. "Stress loslassen." So heißt der Kurs im Kopfhörer. "Erfreue dich an einem gesünderen Gemütszustand, indem du stressbewusster wirst und lernst, negative Emotionen umzuwandeln." Das ist das Versprechen von Suzanne. Ich höre Suzanne gerne zu.
Meditation per Handy-App. Näher werde ich dem Metaverse nie kommen. Suzanne sagt, dass ich mir ein goldenes Licht vorstellen soll, das direkt über meinem Kopf entsteht, gerade eben nämlich, und dann von oben durch den Körper fließt bis ganz nach unten zu den Zehen. Das Licht dringt in jede Faser meines Bewusstseins ein und gleich dann denke ich an gar nichts mehr. Macht nichts, wenn das nicht sofort auf Anhieb funktioniert, sagt Suzanne. Nicht jeder ist dazu geboren, gleich einmal an gar nichts mehr zu denken. Am besten, ich mache die Kurzversion der Übung ein paar Mal im Alltag durch.
In der U-Bahn halte ich die Luft an und stelle mir das goldene Licht vor, das vom Kopf herab durch meinen Körper fließt. Heimito von Doderer hat geschrieben, dass dem Menschen genau das mit seiner Kindheit passiert. Kriegt man wie mit einem Kübel über den Kopf gestülpt und das ganze Leben langt rinnt sie an einem runter. Goldenes Licht und glückliche Gedanken. Visualisieren heißt das in der Sprache der Experten. Eigentlich hätte ich statt dem Luftanhalten besser ein paar tiefe Atemzüge nehmen sollen. Aber das will ich unter der FFP2-Maske gar nicht erst probieren. Lieber Luft anhalten.
Man muss die Übung in den Alltag integrieren und irgendwann verziehen sich die trüben Gedanken ganz von selber, sagt Suzanne. Funktioniert eh ganz gut. Ich halte die Luft an und auf einmal sehe ich den breitbeinigen Bodybuilder gegenüber gar nicht mehr. Die paar, die partout keine FFP2-Maske in der U-Bahn tragen und mich allein schon dadurch nerven, die sind auch verschwunden. Ich sehe die Kiddies mit dem stinkenden Burger gar nicht mehr. Und die beiden Kontrolleure sehe ich leider auch nicht. Alles Negative ist verschwunden wie von selber.
Blöd, wenn man im Moment der plötzlichen Erleuchtung keinen Fahrschein in der Tasche hat. Suzanne sagt jetzt auch nichts mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob die Strafzahlung gut oder böse für mein Karma ist. Das nächste Nichts suche ich draußen auf der Straße.
Wiener Journal: Das nächste Nichts suche ich draußen auf der Straße
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