Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.

Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.

Eine alte Freundin beklagte am Telefon, dass man neuerdings mit niemandem mehr kontrovers debattieren könne. Jedes Wort müsse man abwägen. Alle seien sofort nahezu unversöhnlich beleidigt und liefen auseinander, sobald die geringste Streitigkeit ruchbar würde.

Nach der Matura hingegen hatten wir für mindestens zehn Jahre einen bunten Freundeskreis mit zwei antagonistischen Schwerpunkten. Da gab es die (diffus) links Orientierten einerseits und die bürgerlich bis rechts in Mittelschülerverbindungen Organisierten andererseits. Wir hatten sogar einen verwirrten "Schlagenden", von dem wir uns nicht mit Abscheu abwandten, sondern wissen wollten, was ihm einfiele, sich "schlagen" zu lassen.

Immer wieder hatten wir von Wein und Bier befeuert langwierige Debatten, die von der gutmütigen Wirtin des "Ochsenhofs" immer wieder als Schreierei beurteilt wurden. Auch wenn es hoch hergegangen war, am Wochenende darauf waren alle wieder da und redeten über dieses und jenes, und irgendwann, meist zu später Stunde, versuchten wiederum zwei sich gegenseitig mit stimmlichem Nachdruck zu überzeugen ...

Jahr um Jahr wurden wir älter und etwas gesitteter. Die Treffen wurden auch seltener und die ganz linken und die ganz rechten Standpunkte haben sich wohl auch etwas abgeschliffen, aber es gab immer noch genug Anlässe zum Debattieren. Aber neuerdings, sagte meine Freundin, streitet keiner mehr. Oder eben nur noch ein letztes Mal.

Mir will scheinen, dass es nicht nur beim Miteinanderreden gravierende Veränderungen gegeben hat. Oder kann sich jemand vorstellen, dass "Monty Python’s Flying Circus" heutzutage einen Welterfolg nach dem anderen landen könnte? Welcher Sender würde es wagen, Mundl Sackbauers Enkel in Szene zu setzen? Horst Schimanski dürfte heutzutage nicht einmal als Sandler in einer Nebenrolle auftreten und sagen, was er damals dauernd gesagt hat. Aber ist die Welt selbst so anders, so viel besser geworden?

Als ich im vergangenen Herbst einmal im bürgerlich feschen Mödling übernachtete, wachten wir auf, weil auf der Gasse ein Herr seine Unzufriedenheit mit einem seiner Nachbarn so laut und so deftig formulierte, dass wir drinnen vor Schreck erstarrten. Die Tirade hatte etwas nachgerade Altmodisches an sich gehabt. Fast, aber nur fast zum Gernhaben.

Die Welt ist aber nicht nur in Mödling nicht durchgängig besser geworden. Wir haben bloß alle offenbar nicht mehr die Geduld, einander zuzuhören und zu ertragen. In solchen Fällen wurde man früher zur Therapie gerufen. Auf den anderen zugehen und ihm nichts unterstellen, das waren erste Übungsschritte. Mir scheint, das könnte auch heute nicht schaden.